Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Max Kratz, 
Skulpturen 1944 -1992

Ausstellungskatalog  Städtische Galerie im Deutschen Klingenmuseum Solingen:  
Max Kratz. Skulpturen, 1944-1992.-  
Mit einem Text von Hans Knopper.-
Graphik: Folker Willenberg
Fotographie: Inge Görtz-Bauer, Klaus Michael Lehmann, Carlfred Halbach, Jörg Meyer, Ruth Lauterbach, Hans Joachim Starczewski, Max Kratz
48 S., 21,5 x 11,5 cm.-
Ausstellung vom 6.12. bis 5.2.1995
Aufl.: 700 Ex., 
ISBN: 3-930315-07-6

Text von Hans Knopper:

„Das Stille ist nicht das Schwächste“
Zur Kunst von Max Kratz

Kapitel 1
Anlaß der Ausstellung
Von Düsseldorf aus hat der in Remscheid geborene Max Kratz in der Zeit von 1956 bis 1992 eine Vielzahl von Arbeiten für den öffentlichen Raum und für die Kunst am Bau geschaffen. Seine Arbeiten verteilen sich über ein Areal, das von Madrid über Konstanz, Freiburg, Koblenz, Köln, Düsseldorf, Solingen, Wuppertal, Essen, Kleve bis nach Hamburg reicht. Durch einen je nach Aufgabe und Aufstellungsort durchaus wechselnden Stil dieser Arbeiten, ihre Anerkennung und auch ihre Ablehnung durch die Zeitgenossen ist die Kratz'sche Kunst eng mit dem Erscheinungsbild unserer Städte verbunden.

Die zur Zeit noch im Garten und Atelier des Künstlers aufgestellten großen Arbeiten, aber auch die zahllosen Bronzemodelle, freie Arbeiten aus allen Schaffensperioden und nicht zuletzt das Archivmaterial zu den vielen im öffentlichen Raum wirkenden Arbeiten hat das Ehepaar Kratz als Stiftung in das entstehende Kunstmuseum in Solingen als Bereicherung der vorhandenen Bestände eingebracht. Sie ergänzen zum einen den beachtlichen Bestand an Skulpturen von Kurt Schwippert. Zum anderen treten sie neben den sehr umfangreichen Bestand an Zeichnungen, Gemälden und Kartons des nicht nur als Glasmaler bekannt gewordenen und in Solingen geborenen Georg Meistermann. Die so dem kommenden Kunstmuseum zufließenden Sammlungen bilden einen Teil der in der alten Bundesrepublik geführten Diskussion um die Formen und die Rolle der Kunst im öffentlichen Raum trefflich ab.

Der anläßlich der Ausstellung und der Stiftung entstandene Katalog stellt in knappen Auszügen das künstlerische Schaffen von Max Kratz dar. Er kann nicht alle Arbeiten abbilden. So fehlen z.B. die zahlreichen Glasarbeiten vollständig. Eine Unterscheidung in öffentliche und sakrale Auftragsarbeiten sowie in freie Arbeiten bot sich an. Die lückenlose Darstellung und Dokumentation des gesamten Schaffens von Max Kratz wird wie übrigens auch im Falle von Georg Meistermann eine der Aufgaben des entstehenden Kunstmuseums in Solingen sein.

Kapitel 2
Öffentlicher Raum
Max Kratz hat früh den Wunsch entwickelt Bildhauer zu werden. Von 1939 bis 1941 besuchte er, um die Voraussetzung zum Besuch einer Kunstakademie zu erfüllen, die Werkkunstschule in Krefeld. Zunächst absolvierte er die Metallklasse, später die Graphikklasse von Hans Breker. Sozusagen um nicht allein von der "brotlosen Kunst" abhängig zu sein, durchlief er die in Krefeld angebotene Ausbildung zum Goldschmied und legte die Gesellenprüfung ab. In der Rückschau stellt sich heute diese Entscheidung als sehr vorteilhaft heraus, wenn auch in einem anderen Sinne als ursprünglich erwartet. Nicht als Alternative zur freien künstlerischen Arbeit, sondern als nützliche Grundlage für seine späteren künstlerischen Aufträge konnte er die Krefelder Erfahrungen verwenden. Löten, Schweißen, Biegen, den Umgang mit Goldschmiedewerkzeug und das Arbeiten nach Aufgabenstellungen erlernte er und war damit für seine künstlerische Weiterentwicklung bestens gerüstet. 1941 besuchte er wunschgemäß die Vorklasse an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Bindel. Im gleichen Jahr wurde er zur Wehrmacht eingezogen und in Frankreich und in Rußland eingesetzt. Der Zufall ermöglichte ihm häufige Besuche des Musee Rodin in Paris. In der Zeit seiner englischbelgischen Kriegsgefangenschaft waren Zeichnungen von seiner Hand sehr gefragt. Neben gutem Essen brachte ihm sein Talent zusätzliche Erfahrungen mit Kohle, Bleistift und sogar Kerzenwachs, mit dem er farbige Flächen anzulegen lernte.

1946 kehrt er aus der Gefangenschaft zurück und setzt sofort seine Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf fort. Sein Lehrer Prof. Sepp Mages folgte in seinen künstlerischen Anschauungen der Statuarik und Geschlossenheit im Umriß, wie sie Aristide Maillol vertrat. Für Kratz, der Auguste Rodin und dessen häufig fragmentarische und in der Oberfläche rauhe Formensprache liebte, gab es anfänglich entsprechend selten professorales Lob.

Seit 1950 lebt Max Kratz als freier Künstler. 1951 erhält er den ersten großen privaten Auftrag. Im gleichen Jahr stellt ihn eine Tageszeitung als künstlerisches Nachwuchstalent vor. U.a. wird ihm im Zusammenhang mit Kunst und Mäzenatentum die Frage nach seinen künstlerischen Absichten gestellt. Er antwortet: "Ich suche in dieser verrückten, konfusen Zeit einen Ton der Ruhe, der nicht in die Lautstärke des allgemeinen Tumults einfällt. Das Stille ist nicht das Schwächste. Ich meine: die Schönheit. Schönheit im Sinne der Wahrheit. Und das kann man an Kleinigkeiten demonstrieren: an einer kleinen Figur, an einer Plakette zu einem Jubiläum." (1) Wie zum Beweis dieser Aussage gestaltet Kratz 1956 zwei Türgriffe für den Eingang zur Stadtkasse im neuen Düsseldorfer Rathaus. Das Ergebnis dieses ersten, fast unscheinbaren öffentlichen Auftrages ging durch die Presse fast der gesamten Republik. In kleinen Rubriken wurde der Witz der kleinen Skulpturen, die den Steuerzahler mit Geld gefüllten Händen vor und leeren Händen nach dem Besuch der Stadtkasse zeigen, mit einer Photographie vorgestellt. Selbst das Time Magazine widmete Kratz und seinen Steuerzahlern einen kleinen Artikel. Den folgenden Wettbewerb für den Wandschmuck des neuen Rathauses gewinnt er mit sechs Reliefs, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln Besonderheiten der Stadt thematisieren. Die Tafeln mit Darstellungen der Kunst, der Mode und des Rheins werden unkonventionell mit Würdigungen der ländlichen Stadtteile Hamm und Niederkassel, des Wiederaufbaus und der Gastronomie ergänzt.

Diese ersten öffentlichen Aufträge zeigen sehr deutlich, daß der Künstler das Publikum, den Betrachter seiner Arbeiten, mit in die Überlegungen einbezogen hat. Er hat sich die Erwartungen im Zusammenhang mit der gestellten Aufgabe klar gemacht und kann durch die Motivwahl sehr wohl wahrnehmbare eigene, auch verschmitzte Kommentare in die Arbeit einfügen. Diese Kontrolle des künstlerischen Arbeitsziels wird ein Merkmal für Max Kratz werden und ist nicht zuletzt ein Schlüssel seines Erfolges. Vielseitigkeit und formale Vielgestaltigkeit finden hier ihr Fundament.
Die künstlerische Wirksamkeit von Max Kratz entfaltet sich in einer Zeit, die von den Folgen der Barbarei des Dritten Reiches überschattet ist. 12 Jahre lang war die internationale Entwicklung der Kunst in Deutschland unterdrückt und verächtlich gemacht worden. Das Wiedersehen mit der modernen Kunst gestaltete sich für die breite Öffentlichkeit zunächst als schwierig. Zu tief saßen und sitzen noch teilweise bis heute die von den Nazis benutzen Vergleiche und Unterstellungen. Die Suche nach einem modernen Verständnis von den Aufgaben und formalen Mitteln der Kunst führte zur Polarisierung in der Etikettierung der Kunst: Sie war entweder "abstrakt" oder „gegenständlich". Die Position, die Max Kratz in dieser Diskussion einnahm, schildert Vera E. Bachmann so: "Gegenständlich oder abstrakt? Dies bedeutet für Kratz nicht nur ein Spielen auf der Klaviatur seines bildhauerischen Könnens, ist nicht nur Ausdruck seiner künstlerischen Vielfalt, sondern vor allem eine im positiven Sinne begriffene Anpassung an den Architekturrahmen, der das eine oder das andere erfordert. (2) Kratz gibt die Gegenständlichkeit niemals auf. Gestalterische Elemente können dabei durchaus vom Realen abweichen, aber der Bezug zur Figuration bleibt immer erhalten.

Der Neubau der chirurgischen Klinik erhält 1958 ein großzügiges, modernes Foyer. Max Kratz erhält den Auftrag, eine Skulptur für diesen Ort zu fertigen. Er baut für den Wettbewerb ein Modell des Foyers und entwickelt an diesem sehr genaue Vorstellungen, wie er auf die Horizontalität des Foyers, den Lichtgang in ihm und auf die Position der Skulptur im Raum künstlerisch reagieren will. Eine Stellprobe vor Ort zeigt, daß die zunächst ausgedachte Skulptur noch größer sein muß. 

Der letztlich zur Ausführung gekommene Akt ist ein überaus gelungenes Beispiel dafür, wie eine Skulptur auf den umgebenden Raum so abgestimmt sein kann, daß sie im übertragenen Sinne zu dessen prägender Mitte werden kann. Die Figur befindet sich auf einer Treppenwange am Aufgang zu den Hörsälen. Sie steht vor einer großen Fensterfront. Die sachliche Architektur lebt von den Materialwechseln in Fußboden,Möblierung und Fenstern. Das massige Volumen des Aktes führt eine Schwere in den Raum ein, die innerhalb der Figur zwischen Oberkörper und betonten Oberschenkeln im Gleichgewicht gehalten wird. Die Figur ist nicht sitzend gezeigt, sondern sie ist unmerklich vom Boden gelöst, Licht spiegelt sich auf dem Postament, die rauhe Oberfläche löst die Strenge der Silhouette durch Lichtreflexe auf. Durchblicke lassen die Skulptur leicht wirken. Die wie aufgefaltet wirkende Haltung des Aktes nimmt die Raumachsen und Rich­tungen in sich auf und vermittelt zwischen ihnen. Den Ansprüchen des Raumes wurde hier Rechnung getragen, nicht denen der Chirurgen, denn zugunsten des Ausdrucks ist hier nicht nur abstrahiert worden, sondern ganze Körperpartien sind in erfundene Beziehungen zueinander getreten und bilden für die Aufgabe der Skulptur die klare Form: versunken in sich gekehrt, kraftvoll aber ohne laute Geste.

Daß zum Volumen der Plastiken das Volumen der Architektur hinzugedacht werden muß, läßt sich schön am Beispiel des Delphinbrunnens für das Benrather Stadtbad in Düsseldorf ablesen. Die glatte Oberfläche der Delphine läßt die Skulptur zu einem abstrakten Ornament im Raum werden. Der Brunnen illustriert die Forderung von Kratz, daß ein Brunnen, auch wenn kein Wasser läuft, interessant sein muß. 1962 war ein Bronzeabguß des Modells für den Delphinbrunnen auf der Bergischen Kunstausstellung in Solingen ausgestellt. Zu dieser jurierten Ausstellung wurde die Meinung der Besucher mit Fragebogen ermittelt. Auf die Frage "Welche Werke haben sich am stärksten eingeprägt?" wurden am häufigsten die Delphine genannt. Als Begründungen wurden „die elegante, harmonische Lebendigkeit", „Geschmeidigkeit", die „rhythmische Linienführung" und die „überraschend gute Raumbewältigung" genannt. 1961 entwirft Kratz für das Löricker Freibad in Düsseldorf die „Schwimmer". Anders als bei den Delphinen, tut sich das Publikum diesmal schwer. In einem Interview vor der Aufstellung der Arbeit äußert der Bildhauer folgendes: " ...langgestreckte, flache Gebäude... Dazu muß meine Plastik nun ganz und gar passen, sie muß sich einfügen, ob ich will oder nicht. Andernfalls hat sie ihren Sinn verloren. Sie soll aber auch den Betrachter in einem gewissen Sinn schockieren, damit er sie überhaupt beachtet." (3) Erstaunlich vielen Tageszeitungen war die Aufstellung der Skulptur eine Notiz mit Abbildung wert, häufig mit positiv oder negativ wertenden Anmerkungen. Der hier erreichte Übergang von figürlicher zu abstrakter Gestaltung war in seiner Reduktion des realistischen Ausdrucks für einen Teil des Publikums zunächst schwer nachvollziehbar. 

1962 entwirft Max Kratz eine Skulptur für die neue Düsseldorfer Messe. Diese als Messezeichen gedachte Arbeit wurde leicht verändert realisiert. Der Volksmund gab den 30 m aufragenden Stahlpylonen den Namen „Halber Radschläger". Der Kurvenreichtum der 50er Jahre ist hier gänzlich zugunsten einer klaren, geometrischen und glatten Formensprache gewichen. Der auf dem Land aufgewachsene Verfasser hat dieses ohne einen für ihn erkennbaren Nutzen aufragende Zeichen schnell als anonymes Symbol der geschäftigen, modernen Großstadt aufgefaßt. Dieses Wahrzeichen der Wirtschaftsmetropole ist inzwischen nach dem Abbruch der nunmehr veralteten Messehallen an den Verteilerkreis des Rhein-Ruhr‑Flughafen Düsseldorf versetzt worden.

1963 ist neben anderen Künstlern auch Max Kratz an der Ausschmückung des neuen Theater und Konzerthauses in Solingen beteiligt. Für einen Innenhof schafft er eine mehrteiliges Bronzerelief mit dem Titel „Finale" und für das Konzertfoyer ein Buntmetallrelief. Beide Arbeiten können vom Betrachter sowohl als Darstellungen eines Geschehens auf den Bühnen oder in den Foyers während der Pausen interpretiert werden. Seit dieser Zeit ist Max Kratz mit der Stadt Solingen verbunden. Als langjähriges Mitglied des Kunstbeirates hat er seine Erfahrungen in die Stadt eingebracht.

Mit der Berufung von Max Kratz als Dozent an die Folkwangschule nach Essen und seiner Ernennung zum Professor bleibt für die Realisierung öffentlicher Aufträge kaum noch Zeit. Eine seiner letzten großen öffentliche Auftragsarbeiten ist das Bergarbeiterdenkmal in Essen. Für die mehrere Planungsjahre in Ansspruch nehmende Realisierung dieses Denkmals emeritiert er von der Universität Essen. Die Aufstellung der sechseinhalb Meter hohen und sechs Tonnen schweren Skulptur war 1988 von kontroversen Diskussionen begleitet. Die Skulptur zeigt vier überlebensgroße Bergleute, die in steiler Lage in einem durch Stempel und Schalhölzer gestützten Gang im Flöz arbeiten. Der Verzicht auf einen Sockel läßt die Bergarbeiter scheinbar direkt aus dem Boden kommen. Die zeitgenössische Kunst hat sich inzwischen so stark verändert, daß in den Leserbriefen der Tageszeitungen zum neuen Denkmal auch Stimmen laut werden, die eine gegenstadsfreiere Darstellung favorisiert hätten, die allerdings in diesem Fall vom Auftraggeber, einem privaten Förderkreis, ausgeschlossen worden war.

Kapitel 3
Sakralkunst
In insgesamt 25 Städten der Bundesrepublik kann man sakrale Arbeiten von Max Kratz sehen. Altäre, Taufbecken, Kirchenbänke, Fenster, Altarwände, Tabernakel, Portale, Außenflächen, Kreuzwege und Altargerät sind von ihm entworfen und realisiert worden. Viel stärker als in den Arbeiten für profane Zwecke, fühlt er sich aufgefordert, den Zwecken und Erwartungen durch die Gläubigen, denen die Skulpturen unterworfen sind, zu berücksichtigen. Ausdrücklich wollte er vermeiden, Kirchen als Kunstausstellungen zu verstehen. Das heißt, die verwendeten Formen orientieren sich zunächst demonstrativ am Gegenständlichen. Gestalterische Ideen, besonders wenn sie aus dem abstrakten Formrepertoire stammen, erhalten eine dienende Funktion. Wenn Max Kratz ein Abendmahl darzustellen hat, so sind die Figuren einzeln ablesbar, der Tisch, um den sich Christus mit seinen Jüngern versammelt, ist deutlich mit seiner Platte zu erkennen. Erst im Detail werden die den Künstler interessierenden Formprobleme ablesbar. Wie kann eine so große Gruppe von Menschen spannungsreich gezeigt werden? Wie können die vielen Arme und Beine in die Gesamtform integriert werden. Zum Beispiel indem entgegen der Sehgewohnheit Jünger auch diesseits der Tafel sitzen, indem eine stilisierte Silhouette gewählt wird, in die die Extremitäten summarisch integriert werden. Exemplarisch sollen hier einige Werke vorgestellt werden.

1960 gestaltet Kratz in Neuss‑Üdesheim eine Kirchenaußenwand. Stilistisch besteht eine enge Verwandtschaft zum Relief „Finale" im Solinger Theater und Konzerthaus. Allerdings führt die Vorgabe des Stoffes, des Gleichnisses von den sieben klugen und den sieben törichten Jungfrauen zu einer eindeutig interpretierbaren Anordnung der Figuren. Die sieben klugen, auf die Wiederkehr Christi vorbereiteten Jungfrauen, bilden eine geschlossene, vom gleichen Gedanken getragene Gruppe, die sieben törichten sind uneins, in der Gestik unterschiedlich und in zwei Gruppen zerfallen dargestellt.

1962 beteiligt sich der Bildhauer an einem Wettbewerb für die evangelische Kirche in Mülheim-Heissen. Das Modell, aufgrund dessen Kratz den Auftrag erhält, zeigt weitestgehende Übereinstimmung mit einer Raumaufnahme der dann realisierten Ausschmückung. Die Altarrückwand zeigt den gekreuzigten Christus. Anstelle des Kreuzes ist die Wand als Anspielung an die Dornenkrone mit einem großen Feld von Stahldornen übersät. Die formal gesehen horizontale Ordnungsfunktion des Querbalkens des Kreuzes wird bei dieser Lösung von der in ihrer Schwärze betonten Altarmensa übernommen. 

In Solingen hat Max Kratz die evangelische Kirche am Weyer ausgestattet. Die abgebildeten Fenster und Kirchenbänke sind mit knappen finanziellen Mitteln realisiert worden. Eine stille und schlichte Lösung, die gerade wegen der formalen Ähnlichkeit zwischen den Fensterbahnen, für die er den Betonmodul entwarf, und der schroffen Betonung der Winkel im Aufbau der Bänke, überzeugt. Ähnlich überzeugend ist das Taufbecken für die Pauluskirche in Castrop‑Rauxel aus dem Jahr 1963. Den eigentlich schweren Materialien Stein und Bronze ist eine die Leichtigkeit betonende Ausdruckskraft abgewonnen. Man sieht diesem Taufbecken an, daß ein Bildhauer aus dem Bereich der Darstellung der menschlichen Figur sein Schöpfer ist.

Kapitel 4
Freie Arbeiten
Menschen stehen im Mittelpunkt des Werkes vom Max Kratz. Vor allem die Arbeiten, die ohne einen Auftraggeber mit genauen Zielvorstellungen entstanden sind, die frei im Atelier, vielleicht Ideen realisieren, die in den Auftragsarbeiten nicht zur Anwendung kommen konnten, legen hiervon Zeugnis ab. Ähnlich den Auftragsarbeiten, die immer in Beziehung zur umgebenden Architektur, zum Stadtraum oder zur Landschaft entstanden sind, suchen auch die freien Arbeiten einen Bezug. Sei es der Bezug zu einem inneren Ruhepunkt, sei es eine große Entfernung zu diesem Ruhepunkt, die heftige Bewegung, sei es der eines Paares zueinander, sei es der erotische Bezug zum Blick des Betrachters. Seine Erfahrungswelt wird immer miteinbezogen. Aus der Gefangenschaft stammt die früheste hier abgebildete Arbeit. Sie ist 1944 aus einem Hering, der zum Aufbau eines Zeltes diente, entstanden und zeigt einen Mitgefangenen. Die Bronzeskulptur Mäcki ist 1952 entstanden. Die Skulptur gehört in die Zeit kurz nach seiner Ausbildung an der Akademie. Hier finden sich erste Schritte der formalen Selbstfindung. Schwere ist zugunsten einer sensiblen das Gleichgewichtsgefühl voraussetzenden innerlich gefaßten Haltung gewichen. Das Fußmotiv läßt die sich noch entwickelnden spielerischen Elemente der späteren Jahre ahnen.

Das Liebespaar von 1952 läßt einen Bezugspunkt auch zukünftiger Arbeiten anklingen. Die Beziehung der Menschen zueinander. Diese ist nicht allein durch die Körpersprache charakterisiert, sondern die Blume steht für ein vielleicht poetisch ausgesprochenes Wort. Die Blume verkörpert sozusagen den nicht hörbaren Klang der Worte. In späteren Arbeiten, in denen Paare gezeigt werden, sind ebenfalls häufig gerade solche Situationen gezeigt, in denen im Betrachter sehr deutlich eine fein melancholische Stimmung angesprochen wird. Zwei Jahre später entsteht eine kühn bewegte Arbeit. „Zwei Mädchen". Kubistische und expressionistische Einflüsse sind hier verarbeitet. Zwei Eigenheiten der Kratz'schen Skulpturen sind hier deutlich ausgeprägt. Die Oberdehnung einzelner Partien, die die Skulptur in einzelne Formbereiche zerlegt, und das Interesse für die Gliedmaßen. Sie sind von nun an häufig der Gegenstand des bildhauerischen Erfindungsreichtums des Künstlers.

In der Arbeit "Rock and Roll" von 1958 sind die Position der Arme und Beine vom nicht wahrnehmbaren Rhythmus der Musik vorgegeben. Die Silhouette ist nach wie vor ausdrucktragend, allerdings beginnt neben der glatten Oberfläche an einzelnen Inseln das amorphe Innere der Figuren das Interesse des Künstlers zu finden.

Unter der Überschrift „Gefahren des Mittelmaßes. Osthaus‑Preis und Westdeutsche Künstlerbund-Ausstellung" schreibt Karl Ruhrberg in einer Ausstellungsrezension u.a.: „Auch des Bildhauers Kratz Rock‑'n‑Roll‑Pärchen macht Spaß, ohne sensationell zu sein. Aber solche kleine angenehmen Überraschungen sind selten.“ (4) Die Rock-and‑Roll‑Tänzer gehen auf zahlreiche visuelle Erlebnisse in einer Düsseldorfer Diskothek zurück. Sie vermitteln einen Eindruck des allgemeinen Lebensgefühls in Deutschland, können aber auch für die in Gang gekommene Karriere des Künstlers selbst als Symbol gesehen werden.

Interesse an der Bewegung und der Lösung vom Boden zeigt Max Kratz auch in den „Stelzenläufern" von 1970. In einem Wettbewerb für eine Schule mit dem zweiten Preis ausgezeichnet, ist diese Arbeit nicht in ihrer geplanten Größe ausgeführt worden. Die feingliedrige Ausbildung der Kinder auf den Stelzen, die Fragilität machen die Arbeit auch abstrakt, fast graphisch lesbar. Mit der Berufung an die Folkwang Schule nach Essen verschiebt sich die Gewichtung innerhalb des Schaffen von Max Kratz weg von den öffentlichen Aufträgen hin zu den freien Arbeiten. In den 70er Jahren entwickelt sich die formale Sprache des Künstlers noch einmal weiter.

In den Arbeiten „Salome" von 1973 und „Susanne" von 1975 wird die Auffassung des Aktes noch einmal dynamischer. Die einzelnen Extremitäten werden voluminös und bilden dem Rumpf gegenüber stärker eigenständige Massen. Die Akte erscheinen kraftstrotzend und expressiv. Bei der „Susanne" bilden sich in einzelnen Körperregionen in der Zusammenschau von Schultern, Armen und Brust beinahe flächig zusammenhängende Landschaften. Die starke Bewegung der Silhouette findet in dieser Flächigkeit ein Gegengewicht. In diesen Arbeiten sehe ich die Frucht der erneuten grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Bildhauerei. Sie wird im Umgang mit den Studenten forciert worden sein.

Die „Jagdreiter" von 1977 entspringen einem quasi impressionistischen Gestaltungseinfall, der von dem Spiel des Sonnenlichtes auf einer Reitergruppe ausgelöst wurde. Blitzlichtartig ist die Bewegung der Gruppe eingefroren. Ein schönes Beispiel für die Fäfigkeit von Max Kratz für beobachtete Zusammenhänge einen gestischen Ausdruck zu finden und in der formalen Umsetzung auch noch wohlwollendes Verständnis zu erwecken, ist die "Schönheitskönigin". Die körperlichen Vorzüge machen sie zur selbstgekrönten Königin, wie ihre Handhaltung zeigt. Insgesamt ein liebevoll ironischer Hinweis auf die eitle Hingabe an die Schönheit, der sich nicht nur an die Frauen richtet. 

Max Kratz hat eine Vielzahl von Akten geschaffen, die in Körperpositionen kühn und bisweilen extrem wirken. Für den Zeitgeschmack war die Darstellung solch posierender Akte ein nicht allgemein eingeübter Betrachtungsblickwinkel. Den Figuren haftet vielleicht aus diesem Grunde etwas augenzwinkerndes an. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die vielen kleinen Akte nicht ungebrochen auf eine Autopsie von Bildhauermodellen zurückgehen. Vielmehr sind in ihnen Erfahrungen niedergelegt, die der Künstler per Zeichnung von Modellen bzw. in der Beobachtung des Strandlebens gewonnen hat und die ihn von Modellen unabhängig machte. Lediglich in Sonderfällen mußte schon einmal ein molliges Knie oder ein Ellenbogen neu betrachtet werden. Die letzte große Skulptur die Max Kratz geschaffen hat schließt den Kreis zu seinen Äußerungen, die er als junger Künstler getan hat. Die "Ruhende Tänzerin" von 1992 verkörpert die Rückkehr zur stillen Ruhe wie sie im großen Akt für die Chirurgische Klinik in Düsseldorf Ausdruck gefunden hat. So nimmt der späte Kratz den Satz des jungen erneut auf: "Das Stille ist nicht das Schwächste."

Fußnoten: 
1. zitiert nach: Remscheider Generalanzeiger vom 21.7.1951.
2. Vera E. Bachmann in: Max Kratz. Skulptur in Licht und Raum. ‑Coesfeld: Letter Presse 1990, S.6.
3. Düsseldorfer Nachrichten v. 21.9.1961.
4. In: Düsseldorfer Nachrichten vom Freitag den 13. Mai 1960.

Hans Knopper 1994     

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