Kultur wirkt.
Ausstellungskatalog Städtische Galerie im Deutschen Klingenmuseum Solingen:
Klaus Jung - Me fecit Solingen.-
62 S., 21 x 21 cm.-
Ausstellung vom 1.9. bis 13.10.1991
Text von Hans Knopper:
Architektur und Ornament.
Anmerkungen zu Klaus Jungs Installationen
Me fecit Solingen - mich hat Solingen gemacht - , mit dieser Kennzeichnung versahen seit dem Ausgang des 16.Jahrhunderts die Solinger Klingenschmiede voller Stolz ihre Produkte. Was zunächst als reine Herkunftsangabe gedacht war, entwickelte sich schnell zu einem frühen Marken- und Qualitätszeichen der in alle Welt exportierten Solinger Messer und Klingen. Mit zunehmender Verbreitung verselbständigte sich dieser Qualitätsbegriff rasch und dass sich dabei hinter dem Wort Solingen eine kleine Stadt verbarg, wird nicht jedem Benutzer des Begriffs bekannt gewesen sein.
Dass "Me fecit Solingen" zum Titel einer Ausstellung mit Arbeiten von Klaus Jung wurde, erklärt sich zum einen aus dem Geburtsort des Künstlers. Andererseits manifestiert sich hier schon ein spezifisches Interesse an Begriffen, deren inhaltliche Bedeutung wegen ihrer häufigen Benutzung oder ihres hohen Bekanntheitsgrades inhaltliche Veränderungen, meist sind es Überhöhungen, erfahren.
In der Städtischen Galerie im Deutschen Klingenmuseum zeigt Klaus Jung zwei mehrteilige Arbeiten.
Eine der Installationen besteht aus 108 quadratischen Spiegeln, deren Kanten jeweils 30 cm lang sind. Sie hängen in 12 wiederum quadratischen Gruppen zu je neun Spiegeln an den Wänden. Abstand und Rhythmus der Hängung orientieren sich am vorgegebenen Raster der quadratischen Bodenfliesen. Die Spiegel sind mit jeweils sechs Fotos beklebt. Vom Spiegel bleibt nur ein schmaler Rand und eine in die Fotos geschnittene Rautenform sichtbar. Jeder Spiegelgruppe ist ein Thema zugeordnet.
Die stark gerasterten Fotos zeigen das Naturpathos des Berges Nanga Parbat, die romantischen Burgen am Rhein, die magischen Osterinseln, Tumult und Taumel im wiedervereinten Berlin, den Golfkrieg, Betten in architektonische Formen und 6 mal den gestischen Pathos der Oper Aida. Und bei jeder Gruppe ist wie zur Erholung der mittlere Spiegel den Fotos einer Pflanze vorbehalten.
Die gesamte formale Gestaltung unterliegt einem klaren Gesetz. Jedes Foto findet seinen ihm zugewiesenen Platz in diesem System. Letztlich handelt es sich um eine hierarchische geometrische Ordnung, die in diesem Fall überfangen wird von der architektonischen Ordnung der Ausstellungsarchitektur.
Der Betrachter betritt mit dem Raum eine streng organisierte Welt. Er nimmt als erstes die Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Installation wahr, vielleicht erlebt er diese ihn wohl ungewohnt umgebende schöne Regelmäßigkeit als Leichtigkeit. Irritationen erfährt er erst nach dem Herantreten an einzelne Spiegel, wenn er Details wie Einsatzfahrzeuge, Sänger und Feuerwerk wahrnimmt und sich ihm die Frage nach dem Zusammenhang aufdrängt. Plötzlich ist er mit Einzelmomenten konfrontiert, er befindet sich sozusagen im Jetzt, was noch dadurch verstärkt wird, dass er im Spiegel sehen kann, wie ihn selbst diese Bilder überlagern. Die Frage nach der eigenen Stellung zu dieser Ordnung ist gestellt. Allerdings lässt sich bei noch näherem Hinsehen das Dargestellte in systematische Rasterpunkte auf. Tritt er hingegen wieder vom Spiegel zurück, so geht die gezeigte Einzelinformation im Gesamtornament der Installation auf.
Postkarten, Fernsehen und eigene Aufnahmen lieferten die Vorlagen für Klaus Jungs verfremdete Abbildungen von Handlungen und Orten, die kollektive Kristallisationspunkte für die Phantasie und Erfahrungen des Beschauers darstellen. Diese Höhepunkte aus Reisen, Zeitgeschichte und Kulturgenuss sind allgemein als bedeutend bekannt und werden in einer jeweils entsprechenden Bildsprache wiedergegeben, allerdings sind sie bei Klaus Jung eingefügt zwischen ornamentalem Gesamtbild und dem letztlich unlesbar werdenden Rasterpunkt. D.h. ein bestimmter Betrachtungsabstand ist für ihre Wahrnehmbarkeit Voraussetzung. Die im Einzelfall den abgebildeten Phänomenen zugrunde liegende Bedeutung wird von der künstlerischen Gesetzmäßigkeit überlagert und für unwichtig erklärt. Ort und Zeit des Fotoereignisses werden aufgehoben zugunsten der Zeitlosigkeit mathematisch-ornamentaler Gestaltungsprinzipien oder anders ausgedrückt: die Gesetzmäßigkeit wird nicht aus dem Inhalt hergeleitet, sondern aus der Form.
Die Bild- und Informationswelt wird zusammen mit dem wahrnehmenden Betrachter zum allumgebenden Ornament und geht darin auf.
Die zweite hier gezeigte Arbeit Klaus Jungs steht in der Tradition seiner Turm- und Brückenmodelle aus der Mitte der 80er Jahre, die streng genommen weder Modelle für zu verwirklichende Architekturen waren, noch Nachbildungen vorhandener Bauten. Vielmehr hielten diese unter Ausnutzung des ungewohnten Betrachterstandpunktes - die Modelle waren klein, der Betrachter groß - beinahe auf spielerische Weise dazu an, die Begriffe Brücke, Turm und anderer architektonischer Wahrzeichen auf ihre formale Bedeutung hin zu befragen. Da sich Assoziationen zu touristisch bedeutenden Bauwerken einstellten, war auch die Frage nach dem Verhältnis von architektonischem Abbild und ihrem imaginärem Bild im Betrachter gestellt.
Die jetzt ausgestellten stelenartigen Architekturgerüste haben aufgehört Architekturzitate zu sein. Sie haben jeglichen Abbildcharakter verloren, dafür sind sie in einem anderen Sinne selbst Bildträger geworden, indem wie in einen Rahmen Fotos in sie eingesetzt sind. Die Architektur bildet den Rahmen für Fotos von Orten der Begegnung, Kommunikation und Bewegung. Auf diese Weise wird der Architektur eine inhaltliche Ebene hinzugefügt. Die Architekturstele ist dabei das dauerhafte Element, die Fotos zeigen nur Momente, sie stiften der Gerüstform für kurze Zeit einen Sinn.
Die asketische Strenge im gesetzmäßigen formalen Aufbau der Arbeiten Klaus Jungs trifft in der Städtischen Galerie im Deutschen Klingenmuseum auf von J. P. Kleihues gestaltete Ausstellungsräume, die aus einem ähnlich stringenten Denken in geometrischen Formen entstanden sind. Auf ideale Weise ergänzen sich somit die vorgefundenen Raumstrukturen mit den ausgestellten Arbeiten. Die gesetzmäßig aufgebaute Architektur findet ihren Sinn, indem sie den Rahmen für ein verwandtes künstlerisches Ereignis bildet.
Hans Knopper 1991
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