Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Martin Hauf, 
Meine kleine Welt

Projekt Little Akademie, Martin Hauf, Kunst und Forschung: 
Meine kleine Welt.- 
Print on demand, hergestellt in Handarbeit, nummeriert und handsigniert, Erstdruck 1998.-
Mit einer Einleitung von Martin Hauf und einem Text von Hans Knopper.-
34 S., 21,5 x 22 cm.- 
 

Text von Hans Knopper:

Der Künstler als Operator

In der Mathematik sind seit dem Ende des 19.Jahrhunderts Funktionen bekannt, deren Lösungen gemessen an gewissen geometrischen Grundannahmen nicht störungsfrei graphisch darstellbar sind. D.h. jede Zahl, die als Unbekannte in eine Gleichung eingesetzt wird, kann normalerweise einem Lösungswert zugeordnet werden. Die Menge der Lösungswerte kann dann geometrisch abgebildet werden. Nach Euklid unterscheiden wir drei Dimensionen: Linie, Fläche und Raum. Bis auf die wenigen erwähnten Ausnahmen lassen sich die Mengen der möglichen Lösungen für solche Gleichungen z.B. zweidimensional als Kurve darstellen. Diese Ausnahmen wurden u.a. als Monsterkurven bezeichnet, als Kuriosum und sozusagen ungeklärte Fälle ausgegrenzt und zurückgestellt. Gemeinsam ist all diesen Sonderfällen die Vorschrift, das Ergebnis des ersten Rechenvorganges wieder als Startwert in die Gleichung einzusetzen. Dieses Ergebnis wird genauso behandelt, das folgende ebenso und so fort. Es stellt sich dadurch eine Tendenz von Ergebnissen dieser Rechenvorschrift ein, deren veranschaulichtes Gebilde weder als Linie noch als Fläche verstanden werden kann.

Etwa seit Mitte der 80er Jahre unseres Jahrhunderts sind diese Funktionen mit der besonderen geometrischen Widerspenstigkeit wieder in den Mittelpunkt des Interesses getreten. Der Mathematiker und Forscher Benoit B. Mandelbrot hat sich intensiv mit diesen Sonderfällen befaßt und sie unter dem Begriff Fraktale zusammengefaßt. Ein wesentlicher Grund für das neuerwachte Interesse an diesem Sondergebiet ist in der atemberaubenden Entwicklung der Computertechnik zu sehen. Es war nicht mehr notwendig ein halbes Wissenschaftlerleben der Berechnungen solcher Gleichungen zu opfern. Jetzt ist es ein Einfaches, diese Gleichungen tatsächlich oder sagen wir besser so gut wie unendlich oft berechnen zu lassen.

Die graphische Darstellung der Lösungsmengen solcher Gleichungen schien für eine Weile visuell zu belegen, wie nah einander Kunst und Naturwissenschaften in ihrem Forschungsobjekt sind: auf ungeahnte Weise waren die graphischen Darstellungen in der Lage, Fachleute wie Laien zu begeistern. Sie sind einerseits auf wissenschaftlich korrektem, weil jederzeit wiederholbarem Weg entstanden und dennoch andererseits von einer faszinierenden Eigengesetzlichkeit erfüllt, so daß man sich Schlüssen über die Weltzusammenhänge nahe fühlt oder wenigstens in dieser Ästhetik tiefe Gesetzmäßigkeiten wahrzunehmen glaubt. Die vorgeführten ästhetischen Räume sind wie einzelne Kristalle eines Minerals, wie die Teile eines Blumenkohls oder die Segmente einer Raupe einander selbstähnlich. Sie sind Abbilder ungedachter, abstrakter und zugleich realer Strukturen und Welten, die sich eigentümlich sinnhaft verknüpft und verkettet zeigen. Daß diese beinahe magische Sichtbarmachung eines zuvor nicht Gekannten im Wesentlichen auf Kenntnissen der Mathematik und ihrer programmatischen Anwendung gestützt erfolgt, fordert den Künstler Martin Hauf zur Rückeroberung des eigentlich zur Kunst gehörenden Gebietes heraus. Dennoch behält der Künstler hierbei bildlich gesprochen die Hände in den Hosentaschen, die Pinsel bleiben trocken, die Bleistifte gespitzt. Die Gestaltung und die Bearbeitung des durch die Fraktale erzeugten Bildkosmos' erfolgt nämlich mit den Mitteln derjenigen Maschine, die die Darstellung überhaupt erst möglich gemacht hat. Allerdings nimmt Martin Hauf dazu nicht lediglich fertige Anwenderprogramme zu Hilfe, sondern er setzt sich elementar mit den Rechenvorgängen und Wirkungsprinzipien der Schaltkreise auseinander. Die im Computer ablaufenden Prozesse werden von ihm beherrscht und gestaltend eingesetzt. So fügt Martin Hauf die computergenerierten Bilder wieder in eine künstlerische Ordnung ein, holt sie sozusagen zurück in die Welt der Kunst.Aus dem unendlichen Strom und den Tiefen der mathematisch gerechneten Strukturen wählt er Sequenzen aus, die er durch Farb‑ und Kontrastzuweisungen, durch Extrahierungen, Motivüberlagerungen wie Verschmelzungen, durch Größe und Kleinteiligkeit zu ornamentalen Bildern macht.

Der abbildungsgewohnte und interpretationssuchende Betrachter wird durch die beschreibende wie z.T. auch ironisierende Betitelung der Bilder in seine gewohnte Rolle zurückversetzt: er betrachtet Gestaltetes. Der Ausflug in die Welt der hohen Rechenleistung diente zunächst der Sichtbarmachung einer unbekannten bunten und verwirrend unwirklichen und fernen Welt. Jetzt ist diese inhaltlich zurückgeholt in unsere Dimensionen. Die im Unbekannten herrschenden Phänomene sind aber erhalten geblieben, so daß zum Beispiel die Frage der Selbstähnlichkeit verblüffend real wird, besser: sie stellt sich dem Betrachter nicht abstrakt, sondern in Bezug auf seine eigene Wahrnehmung und seine Erfahrungen mit ihr. Läßt sich die Selbstähnlichkeit auf ihn selbst übertragen? Ähnelt nicht ein Tag dem folgenden? An dieser Stelle bietet sich dem Betrachter eine Einsicht an, die auch die Arbeit Martin Haufs wieder in den Zusammenhang mit dem Kunstdiskurs stellt. Selbstähnlichkeit bedeutet ja im Grunde nichts anderes als eine zeitlich versetzte und dimensional abgewandelte Wiederholung eines Vorbildes, das zur Wiederholung im gleichen Verhältnis steht, wie ein Modell zu seinem Abguß. Die Zeit ist nicht als Fortschritt, der Mensch mit seinem Schicksal nicht an der Spitze des roten Fadens der Ariadne zu sehen, sondern Zeit könnte so im Sinne der Selbstähnlichkeit als Wahrnehmungsfenster, in dem die zeitlich vielschichtige Realität präsent ist, verstanden werden. Das hieße, die vom Individuum erlebte Zeit ist die zeitlich versetzte Wiederholung des Vorherigen. Zeitlich versetzt und ungleich durch Einbeziehung der durch die Zeit vorgenommenen Veränderungen. Die Zeit wäre so als iterative, sich wiederholende Funktion zu verstehen. Das vorherige Ergebnis ihrer selbst ist immer Bestandteil ihrer Funktion. Der erlebte Augenblick liegt sozusagen immer an der Kette des voraufgegangenen.

'Meine kleine Welt' nennt Martin Hauf dieses Buch. Klein,  weil alles durch, mit und dank der kleinen grauen Kiste Computer darstellbar wird: das Phänomen selbst, die  Fraktale, der Text, ebenso wie das Kunstwerk und der vorliegende Katalog. Alles ist aus ein und dem gleichen  Denken, Empfinden und Rechnen entstanden. Wenn man weiß, daß die hier gedruckten Bildkonstellationen teilweise     in 75facher Vergrößerung nach entsprechend langen Rechenvorgängen aus dem gleichen Grunddatenbestand produziert worden sind, so sieht man den herkömmlichen  Begriff von Kunstwerk, Original, Kopie und Abbild sich auflösen. Die Abbildungen des Kataloges sind im dokumentarischen Sinne keine. Sie sind aus dem Datenbestand abgeleitet, der unter Ausnutzung der vollen Auflösung 35 DIN‑A4‑Blätter als Ausdruck benötigt hat. Die vermutete Bildreproduktion im vorliegenden Buch ist somit  weniger die Abbildung eines 35teiligen Kunstwerkes, als vielmehr das Abbild der originalen Datenstruktur. Sie entspricht in dieser Hinsicht wieder ihrem 75fach größeren Pendant und ist im gleichen Sinne original.

Die kleine Welt Martin Haufs nimmt die ganze Welt ins Visier. Er öffnet am Ende des 20. Jahrhunderts einen Blick in Welten, die zu erkunden dem 3. Jahrtausend  vorbehalten sein wird, er hört hinein in eine technisch erzeugte Welt, um poetische Stimmungen zu entdecken.  So könnte Martin Hauf für einen zukünftigen Zurückschauenden wie der Neandertaler der Computerzukunft erscheinen.

Hans Knopper 1998

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