Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Der Wipperkotten in Solingen

Der Wipperkotten in Solingen.-
Hrsg. : Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz.-
Texte von Jochem Putsch und Hans Knopper.-
(= Rheinische Kunststätten, Heft 462, 2002)
ISBN: 3-88094-879-8

Der Innenkotten

Der industrielle Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer grundlegenden Modernisierung der Wirtschaft. Die Kotten an der Wupper konnten unter veränderten Wettbewerbsbedingungen kaum bestehen. Symbolisch standen sie schnell für Rückständigkeit, Schmutz und Schmier. Von ehemals 26 Doppelkotten an der unteren Wupper ist heute allein der Wipperkotten erhalten geblieben.

Der Wipperkotten hatte mit beiden Gebäuden den Krieg ohne Zerstörungen überstanden. Aber nur noch zur Hälfte wurde die Wasserkraft als Antrieb für die Schleifsteine genutzt. Die Arbeitsplätze im Kotten waren nicht sehr begehrt, so dass nach dem Tod eines Besitzers der Außenkotten an die Stadt Solingen verkauft wurde. Anfänglich war die Einrichtung eines Heimatmuseums im Gespräch gewesen. Fortschritte in dieser Richtung zeigten sich allerdings nicht. Für den Erhalt des Wipperkottens war seine malerische Lage förderlich. Das nahegelegene Restaurant „Wipperaue", ein beliebtes und gut frequentiertes Ausflugslokal, zog Besucher an, die auch den in die Jahre gekommenen Doppelkotten als Station ihrer Spaziergänge erlebten.

Hans Karl Rodenkirchen entdeckte 1954 den Kotten für sich. Er erlebte ihn als das, was er vermutlich damals war: ein heruntergekommenes Anwesen, dessen Zukunft ungewiss war. Den Schleifern war offensichtlich von der Stadt gekündigt worden. Man munkelte, dass der Kotten wie so viele vor ihm abgerissen werden sollte, denn er stellte zusammen mit dem Stauwehr für die Stadt Solingen und den Wupperverband ein kostenträchtiges Problem dar. Die Wupper galt 1954 noch als Industriefluss, der funktionsgemäß auch stinken durfte. Das Wehr behinderte somit einen schnellen Abfluss des verschmutzten und übelriechenden Wassers.

Hans Karl Rodenkirchen sah weiter: Von der Lage des Kottens begeistert, erwarb er den Innenkotten, aus dem schon fast alle Schleifer ausgezogen waren. Nichts war mehr vorhanden von der technischen Einrichtung, weil die Schleifer ihr Inventar in der Überlegung an Schrotthändler verkauft hatten, dass all diese historischen Geräte und Werkzeuge ihren Wert und ihre Brauchbarkeit verloren hätten. Nach dem Kauf des Hauses setzte sich Rodenkirchen mit Blick auf den städtischen Außenkotten mit dem Landeskonservator in Verbindung. Am 27.6.1954 schrieb er ihm u.a.: „Ich erlaube mir den Antrag, den Kotten unter Naturschutz stellen zu wollen, um den unverzeihlichen Abbruch eines Kulturdenkmals zu verhindern."

Rodenkirchens Liebe zur Natur und zur Ursprünglichkeit wurde mit dem Kauf des Wipperkottens über viele Jahre auf die Probe gestellt. Er gründete den Werkring Wipperkotten, eine Künstlergemeinschaft, für die im Innenkotten Ateliers entstehen sollten. Den Zustand des Innenkottens im Jahr 1954 beschrieb er wie folgt: „Das Dach war undicht und marode und musste neu gedeckt werden. Die Türen hingen lose in den Angeln. Ein zum Obergraben gelegener Teil des ,Steinhaus' genannten Raumes war zum Bach hin abgerutscht, Fenster mussten erneuert werden, scheibenlos hingen sie in den Angeln, Gefache mussten erneuert, Böden gelegt werden, weil an manchen Stellen nur lose Bretter auf die Balken gelegt waren, im Unterhaus gab es Lehmböden, die später mit Schleifsteinen ausgelegt werden sollten, die Ufer waren zu befestigen, weil sie von vielen Hochwässern ausgekolkt waren." Die aufwendigen Arbeiten konnten nur nach und nach in Eigenarbeit erledigt werden.

Am neuen Standort nahmen die Künstler ihre Arbeit auf. Zur Ateliergemeinschaft gehörten neben Rodenkirchen, der sich als Formgestalter einen Namen gemacht hatte, die Glasmalerin Helma Sauerbrey, der Bildhauer Manfred Saul, der Grafiker Walfried Pohl sowie die Handweberin Karin Frey. Im Laufe der folgenden Jahre etablierte sich der Wipperkotten als interessanter Ausstellungsort. Er wurde immer mehr zur Attraktion für die vielen Besucher des Tales. Sie fanden hier ein attraktives Sortiment von Bestecken und Gläsern, von Töpferwaren und Bildhauerarbeiten. Rodenkirchen und der Kollegenkreis machten aber nicht nur Ausstellungen im Wipperkotten, sondern stellten auch in den umliegenden Städten erfolgreich ihre Arbeiten aus. So wurde der Wipperkotten durch seine Künstler und ihre Qualitäten immer bekannter. Viele Besucher aus dem näheren Bereich, aber auch aus dem Ausland, besuchten nun den Kotten. Auch städtische Institutionen und Vereine führten ihre Gäste hier ein. 

Die Sammlungen des Wipperkottens 
Die vielen Gäste erlebten in Hans Karl Rodenkirchen und seiner Frau moderne Menschen, die sich zunehmend auch für die Landschaft, in der sie lebten, interessierten und die der Geschichte ihres Hauses mit wachem Auge im Alltag nachgingen.

So fand Rodenkirchen neben der Bautätigkeit am Kotten und seiner Arbeit als Entwerfer immer noch Zeit, eine Sammlung alter Kottengeräte und Schleiferwerkzeuge zusammenzutragen. Er fand sie auf Schrottplätzen und in alten Werkstätten, im Wald und in der Wupper. Diese Relikte aus einer vergangenen Zeit, deren Wert er erkannte und deren Schönheit ihn faszinierte, wollte er unbedingt der Nachwelt erhalten, die deren Funktion nicht mehr erkennen würde. Heute ist diese Sammlung im Wipperkotten zu besichtigen.

Eine zweite Sammlung gesellte sich zu der ersten. Der Schleifer Fritz Voos, ehemals im Wipperkotten tätig, fand auf seinen Grundstücken Steine, von denen er annahm, dass sie eine Bedeutung haben könnten. Er benachrichtigte das Institut für Ur‑ und Frühgeschichte an der Universität zu Köln. Der Frühgeschichtler Surendra Arora bescheinigte hier erste Solinger Funde aus der Steinzeit, den Jahren 8000 bis 4000 vor unserer Zeitrechnung. Sehr schnell wurden diese Funde als Belege frühester Besiedelung Solingens dem Publikum vorgestellt. Mit Hilfe des Wissenschaftlers wurden die Stücke geordnet; Schaber, Stichel und Bohrer wurden modernen Handwerksstücken gegenübergestellt, um so ihre Benutzbarkeit und ihre Formverwandtschaft zu demonstrieren. Seither gibt es zwei bemerkenswerte historische Sammlungen im Wipperkotten.

Die Funde von Voos wurden dem Publikum von Surendra Arora in einem Vortrag vorgestellt, der so großen Anklang fand, dass beschlossen wurde, zusätzliche Vorträge und kulturelle Veranstaltungen im Wipperkotten anzubieten. Nach anfänglicher Suche für geeignete Veranstaltungen, die im Kottenkabinett stattfinden sollten, meldeten sich bald unterschiedlichste Vortragskünstler. Es fand z.B. eine Theaterreihe mit dem Remscheider Tourneetheater statt, es gab Musikveranstaltungen vom Cembalokonzert bis zu Dixieland und Folklore, Heinz Risse las und die „schreibenden Ärzte" hatten hier ihre ersten Zusammenkünfte. Prof. Heinrich Lützeler trat mit seinen Vorträgen über den Kölschen Humor hier ebenso auf wie der Pantomime Nemo. Musik des Mittelalters kam zu Ehren; hier hatte die Gruppe „Rotta" ihren ersten Auftritt. Auch ausländische Künstler traten auf, wie die Gruppe „Musica ficta" aus Buenos Aires. Und immer wieder gibt es bis heute die Abende mit den „Hangkgeschmedden", der Solinger Mundartgruppe. Und all diese Aktivitäten wurden „aus dem Hut" bezahlt. Wie vormals im Theater üblich, standen die Rodenkirchens nach der Veranstaltung mit dem Hut bereit und sammelten für die Künstler. Das bei diesem Einkommen Idealismus Voraussetzung war, ist wohl nachvollziehbar. Dennoch werden bis heute Veranstaltungen jeder Art durchgeführt. 

Kampf gegen die Wasserverschmutzung
Solange die kulturellen Aktivitäten und das bauliche Weiterkommen die Bürger ringsum erfreute, war man mit den Kottenbesitzern zufrieden. 1969 gründete Rodenkirchen allerdings mit anderen vom Wuppergestank aufgeschreckten Bürgern die „Notgemeinschaft Abwassergeschädigter der unteren Wupper" (NAG), die erste Umweltschutzgruppe Nordrhein‑Westfalens.

Nachdem er sich jahrelang allein gemüht hatte, diesem getrübten, stinkenden Fluss zu seinem Recht auf Sauberkeit zu verhelfen, sah er sich gezwungen, Mitstreiter zu suchen. Und er fand sie: Anlieger und einsichtige Bürger der umliegenden Städte, auch Chemiker und Biologen. Bald war die NAG umstritten, machte sie doch auf die Jahrzehnte währenden Sünden der Industrie und der Städte aufmerksam, die damals noch ungeklärte Abwässer in den Fluss einleitete. Rodenkirchen und seine Helfer wollten zum Umdenken anregen und bewusst machen, dass wir alle letztendlich von dem Wasser leben, das uns umgibt.

Sehr bald wurden Schriftsätze verfasst, ein Wasseruntersuchungslabor im Wipperkotten installiert, das zunächst wöchentlich, später monatlich Analysenberichte an die Presse gab. 1979 ‑ zehn Jahre nach Gründung der NAG‑bekam Rodenkirchen für seinen Einsatz für die Wupper eine der ersten deutschen Umweltschutz‑Medaillen verliehen. Heute, nach erheblichem Umdenken, ist die NAG anerkannt. Der Erfolg ist eine Wupper mit frischem, klarem Wasser und heute fast immer der Güteklasse z. In Anerkenntnis ihrer Leistung wurde der NAG 1984 die Umweltplakette der Stadt Solingen verliehen.

Hans Karl Rodenkirchen: Grafiker und Formgestalter
Seinen Lebensunterhalt verdiente Rodenkirchen neben seinen zahlreichen Aktivitäten als Formgestalter z.B. von Bestecken und Firmenlogos bzw. Markenzeichen. Er erweiterte sein Arbeitsfeld nach und nach und entwarf zusätzlich Kirchenfenster und schuf Keramikserien. Aus seinem Engagement im Umweltschutz resultieren seine graphischen Arbeiten, die unter dem Namen "DenkArt" zusammengefasst sind. Philosophische Welteinsichten sind hier in kombinierten Wort‑ und Bilderfindungen eingegangen. Einen Teil seines Werkes kann man seit Herbst 2000 in einer Retrospektive im Wipperkotten besichtigen. 1981 wurde Rodenkirchen für sein kulturelles Engagement und den Erhalt des Wipperkottens vom Landschaftsverband Rheinland mit dem Rheinlandtaler geehrt. Für sein Lebenswerk, das er dem Wipperkotten, der Natur, der Umwelt und der Kultur widmete, verlieh die Bürgerstiftung Baden dem Ehepaar Rodenkirchen den Kulturpreis 1997.

Die Sammlungen im Wipperkotten können besichtigt werden, eine Galerie zeigt moderne künstlerische Arbeiten von unterschiedlichsten Künstlern, der Museumsladen bietet Entwürfe von Hans Karl Rodenkirchen und Kunsthandwerk zum Kauf an.
 

Hans Knopper

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