Kultur wirkt.
Ausstellungskatalog Städtische Galerie im Deutschen Klingenmuseum Solingen:
Rainer Fülling. Das Hildebrandt-Schwert. Fotoinszenierung.-
28 S., 21 x 21 cm.-
Mit einem Text von Hans Knopper.-
Ausstellung vom 12.1. bis16.2.1992.-
Der Künstler wurde gefördert durch das Kulturamt Wuppertal.
Text:
Mythos Schwert
Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten macht sich im geistigen Haushalt der neuen Bundesrepublik Deutschland verstärkt eine Neigung zu autoritätshörigem Denken bemerkbar. Gewalt und Unterdrückung Minderheiten gegenüber sind die Folgen. Die unter einem Schleier versteckte deutsche Vergangenheit meldet sich erneut zurück. Und es ist festzustellen, dass sich offensichtlich auch junge Köpfe von den wirkungsmächtigen alten Denkstrukturen wie von einem Virus haben anstecken lassen. Nur die immer wieder neu geführte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bewahrt vor diesem Fieber.
Der Wuppertaler Foto-Künstler Rainer Fülling setzt sich mit dem Schwert und seinem Mythos in Sage, im deutschen Aberglauben und in der deutschen Geschichte auseinander. In elf gestellten und fotochemisch nachbehandelten Schwarzweiß-Fotos entwickelt er thesenhaft ein Szenario um die Begriffe Autorität, Macht, Herrschaft, Gewalt, Krieg und Unterdrückung, die alle im Schwert symbolisiert sind.
In Anlehnung an den Schöpfungsmythos beginnt der Zyklus mit der Erschaffung des Schwertes. In einer in sich gekehrten Haltung formt ein Soldat ein Schwert aus Erde. Er unterwirft sich damit einem Denken, für das alle Kraft dem Boden entspringt, und er schafft eine Autorität, die im Zyklus gesetzmäßig und unaufhaltsam ihre Folgen und Auswirkungen zeigen wird. Die beschauliche Ruhe des ersten Fotos wird im zweiten durch aggressives Vorwärtsdrängen des marschierenden Helden über die Scholle abgelöst, der unabänderliche Lauf der Dinge hat eingesetzt.
Es folgen drei Blätter, in denen die Tugenden Tapferkeit, Opferfreudigkeit, Glaubensstärke und Volkskraft des deutschen Helden, die Autorität des Herrschers sowie das Schicksal in Gestalt des Schlachtenbaums beschworen werden.
Im Gegensatz zum Helden sieht der Betrachter, dass die gerufenen Kräfte längst übermächtig sind. Das vom Himmel auf die ausgehöhlte Erde herabschnellende Schwert kann nicht mehr gelenkt werden. Die vom Helden selbst gerufene Gewalt vernichtet ihn schließlich in einer Flammenfront und ihr Symbol dient zynisch als Kreuz auf seinem Grab im Heimatboden. Der Kreis schließt sich.
Rainer Fülling inszeniert seine Fotos. Er erfindet Situationen, in denen die von ihm für wichtig erachteten Gegenstände eine genau kalkulierte Beziehung zueinander eingehen. Durch Manipulationen während der Aufnahme und in der Dunkelkammer wie Doppel- und Nachbelichtungen erreicht er Fotoverdichtungen entsprechend seinen inhaltlichen Vorstellungen. In einem zweiten Prozess setzt er Chemikalien ein, um aus der Fotoschicht ganze Bereiche auszuschwemmen und sie an anderen Stellen sich anlagern zu lassen. Es findet eine Veränderung und Umschichtung statt. Die dabei entstehende Farbigkeit illustriert nicht die Gegenstände der Darstellung, sondern führt eine intellektuelle und ambivalente Ebene ein. Der Betrachter muss hinter der teilweise sehr schönen und blendenden farbigen Oberfläche das fotografisch Dargestellte suchen. Die Schwarzweiß-Ebene tritt in ihrer Präsenz hinter die Farbschicht zurück, umgekehrt schimmern die in schwarzweiß geschilderten Sachverhalte durch die Farbigkeit auf. Dieser Gestaltungsvorgang bewirkt das Gefühl einer zeitlichen Distanz zum Dargestellten. Erst im weiteren Fortgang des Zyklusses nähern sich diese beiden Zeitebenen wieder einander an. Im Bild "Maske des Schicksals" verzehrt die Chemie den abgebildeten Helden in stellvertretender Vollstreckung des Schicksals.
Rainer Fülling benutzt entsprechend der gemeinten Ideologie Elemente einer pathetischen Bildsprache: dynamisch marschierende Soldatenstiefel, die Überlegenheit suggerierende gereckte Haltung des Herrschers, der Herrscher vor einer Landschaftstotalen, um den Anspruch auf Weltherrschaft zu untermauern. Spätestens hier wird die kritische Distanz des Künstlers zu dieser Ideologie deutlich. Der pathetische Weltherrschaftsanspruch wird nicht mittels eines Blicks in die Alpen erhoben, sondern Müllkippe und Steinbruch entkleiden den Anspruch seiner Großartigkeit. Die mythische Vorstellung, daß das Schwert aus der Erde hervorgeht, wird zum Sandkastenspiel.
Die farbigen Chemieauslaugungen und -ablagerungen überdecken wie die Ideologie das subjektive Empfinden des Helden. Wenn dieser zum Schluss tot im Fluss des Vergessens liegt, dann ist dies nicht zufälliges Einzelschicksal, sondern, da er bildlich in der Chemie ertrunken ist, notwendige Folge des Glaubens an die Ideologie.
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Erfahrung nicht vergessen wird. Der Spiegel im Schlussbild als Blick in die Zukunft zeigt einen bewölkten Himmel.
Hans Knopper, 1991
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