Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Barbara Schimmel
Trauerhäutungen und Schweigeschrift

Ausstellungskatalog  Städtische Galerie im Deutschen Klingenmuseum Solingen (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V., Museum für Sepulkralkultur Kassel:  
Barbara Schimmel. Trauerhäutungen und Schweigeschrift.-  
Mit Texten von Reiner Sörries, Hans Knopper, Katharina Sykora, Wolfgang Martin, Louis Peters I,  Willehard P. Eckert, Barbara Schimmel.- 
Ausstellung in Solingen vom 2.2. bis 13.4.1998
64 S., 30 x 21 cm.-
Aufl.: 800 Ex., 
ISBN: 3-930315-14-9

Text von Hans Knopper:

Stationen der Trauer. Anmerkungen zu den Trauerhäutungen von Barbara Schimmel

Es scheint ein Teil der gegenwärtig stattfindenden gesellschaftlichen Veränderungen zu sein, daß uns der Tod zwar täglich dutzendfach als Teil der medialen Abendunterhaltung gut aufbereitet begegnet, er aber gleichzeitig aus dem öffentlichen Leben in die Privatsphäre verdrängt wird. Erschossen, erfroren, erstickt, in die Luft gesprengt, erstochen und vergiftet wird im Fernsehen wie im Kino in Großbildaufnahme, gelegentlich in Zeitlupe, immer gut ausgeleuchtet, auf spektakuläre Weise und in so großer Anzahl, daß es einiger Planung bedarf, diesem allgegenwärtigen Schlachten zu entgehen. Das Sterben hingegen ist selten ein Thema. Eine Trauer um die vielen Toten findet nicht statt, und wenn doch, dann ist sie auf den kurzen Moment der Benachrichtigung der Angehörigen beschränkt und ihre Formen bleiben allein der schauspielerischen Erfahrung und dem Vermögen des Darstellers überlassen. 

Wie sehr die gegenwärtig gepflegten kollektiven Formen der Trauer vom Wunsch nach Verdrängung gekennzeichnet sind und wie stark überall versucht wird, den tiefen Schmerz, der mit der Trauerarbeit verbunden ist, und die dafür nötige Äußerung von Gefühlen zu umgehen, habe ich selbst erst nach der ersten Beschäftigung mit dem Werk von Barbara Schimmel in meiner engeren Umgebung wahrgenommen. 

Seit mehr als 10 Jahren beschäftigt die Künstlerin immer wieder das Thema des Sterbens, des Todes, des Totengedenkens. Im Mittelpunkt dieses Kataloges und der Ausstellung und am vorläufigen Schlußpunkt einer Entwicklung steht die Skulpturengruppe Trauerhäutungen. Barbara Schimmel hat sieben lebensgroße Figuren, textile Figurationen, wie sie es selbst nennt, geschaffen, die als Resultat der Trauererfahrungen der Künstlerin, als Entwicklungsstationen in der Befindlichkeit der von der oder dem Verstorbenen zurückgelassenen Freundin oder Vertrauten, zu sehen sind.

Tritt man den Skulpturen zum ersten Mal gegenüber, so scheint zunächst nicht sicher zu sein, ob unter den Stoffen jeweils ein Mensch sozusagen als Modell für die äußere Form anwesend gewesen ist. Zumindest in zwei Fällen wird die mögliche körperliche Haltung erst durch intensive Einfühlung nachvollziehbar. Doch dann stellt man schnell fest, daß die Stoffbahnen, die alle Individualitätsmerkmale verdecken, anders als ihre harte Oberfläche vermuten läßt, eine Hülle sind, aus der der Träger sozusagen ausgestiegen ist. Ein Zustand, der überwunden ist, bleibt als Zeugnis zurück, bildet an der Oberfläche mittels Farbe, Silhouette und Faltengang die psychische Befindlichkeit ab. Von der Todesnachricht bis zur Fügung in das Unabwendbare sind 7 Häutungen entstanden: 

Die Nachricht
In der Silhouette eingeknickt wie Halt suchend und in ihrer extremen Unausgewogenheit wirkt die Figur wie gefällt. Wie immer die Person vor der Nachricht auch gewesen sein mag, nichts ist bei ihr mehr an seinem originären Platz.

Der Abschied
Die Figur ist auf die Hälfte ihrer Silhouette geschrumpft. Der betonte Kopf und die Haltung vermitteln gefaßte Konzentration und Innenkehr. Der Faltenwurf zentriert sich im Schoß. Die verstorbene Person scheint einen Schmerz zu verursachen, als sei sie aus dem Leib gerissen

Der Verlust
Die Person ist in ihren Umrissen nicht mehr wie gewohnt wahrnehmbar, sie ist zerstört. Nach unten gedrückt scheint sie ohne Kraft zum Aufrichten zu sein. Vielleicht ist es auch der Versuch, die letzten Kräfte zu sammeln. 

Die Erstarrung
Diese Gestaltung behält am wenigsten von allen die menschliche Gestalt bei. Es gibt kein vor und kein zurück. Verschiedene nicht näher definierte Kraftzentren existieren. Sie scheinen keiner gemeinsamen Ordnung anzugehören. 

Die Klage
Hoch aufgerichtet und oben ausgebreitet, bietet die Figur dem Stoff alle Möglichkeiten, seine nach unten ziehende Kraft zu entfalten, bzw. die Kraftanstrengung des Dagegenstemmens der Arme zu betonen. Die Figur scheint zu deklamieren: Sehet her, mein Schmerz. 

Die Verweigerung
Die nach unten gerichtete Kraft, die der Stoff in seinem Faltengang ausdrückt, wird in der Mitte der Figur durch eine Horizontalbewegung aufzuhalten versucht. Im Vergleich zur Figur Klage ist diese Verweigerung nur noch ein letztes Sträuben. Der Faltengang geht über dieses Hindernis unverändert kraftvoll hinweg. 

Die Fügung
Überraschend und trostspendend erscheint die letzte Figur. Beinahe aufrecht, jedenfalls wieder stehend begegnet sie uns. Die Falten des Stoffes betonen nicht mehr ihre Herrschaft über den Körper, sondern die Falten sind unendlich oft gebrochen und orientieren sich beinahe wie eine Haut wieder an der Person. Die Hülle wird in ihrer Kleinteiligkeit der Person ähnlich, sie wird langsam mit all ihrer Zerklüftung wieder erkennbar. Die Person hat sozusagen die Spuren des Ereignisses, die Erfahrung des Verlustes aufgenommen. Die Trauer hat die Haut zu sehnenartiger Festigkeit verändert. Sie ist an die Person geschmiegt und somit ein Teil von ihr geworden. Sie bleibt noch ablesbar, ist aber in ihrer Kraft auf eine für die Person bewältigbare Größe geschrumpft. Eine besondere Lebensaktivität geht von der Figur zunächst nicht aus, zu schwer lasten die Spuren der vergangenen Erfahrungen. 

Alle Figurationen sind auf der Rückseite geöffnet. Ein Schlitz ist in den Stoff geschnitten. Sie sind abgestreifte Häutungen, die die verschiedenen Phasen der durchlittenen Trauer belegen. Sie waren notwendig und bedingen einander in ihrer Reihenfolge. Lediglich die letzte Skulptur läßt das Vorhandensein einer solchen Schlupföffnung nur ahnen. Ob eine Rückkehr in einen Zustand ohne Spuren der Trauer möglich ist, scheint daher fraglich. Die letzte Haut ist letztlich kaum abstreifbar. 

Barbara Schimmel interessiert sich in ihrer künstlerischen Arbeit für die textile, zur Außenwelt gehörende stoffliche Membran, die als Kleidung die Person umschlingt, eng mit ihr verbunden ist und dennoch frei wählbar und auswechselbar ist. Künstlerische Entwürfe, die getragen werden können, werden von außen der Person hinzugefügt. Inwieweit innere Zustände des Trägers in den Textilien abgebildet und sichtbar gemacht werden können, wurde für die Künstlerin schnell zur Frage und somit stand alsbald die symbolische Form der textilen Figurationen im Vordergrund. 1994 stellte Barbara Schimmel in Berlin 40 Hostessenkleider aus, die im Rahmen eines Projektes mit Studenten entstanden waren. Beigefügt waren den lebensgroßen Gestaltungen Versprachlichungen der inneren Gefühle, die ausgedrückt waren, z.B. unangenehm-verschlungen, häufig-genießbar oder unglaublich-verfranst. Es gehört inzwischen als fester Bestandteil zur Arbeitsweise der Künstlerin, die in Frage stehenden Phänomene sprachlich zu beobachten und die Ergebnisse schriftlich festzuhalten. Es entstehen Texte, die die subjektiven Beobachtungen poetisch objektivieren.

Im vorliegenden Katalog ist die Werkgruppe der Arbeiten zur Sepulkralkultur zusammengefaßt und abgebildet. Die meisten Arbeiten sind Toten gewidmet und zugeeignet, mit denen Barbara Schimmel bekannt war. Sie beziehen sich somit auf ein ganz bestimmtes Lebensschicksal, das der Künstlerin bekannt war. Die Gestaltungen sind wie die Interpretationen der von Barbara Schimmel beobachteten Lebensumstände der Betreffenden zu sehen. Die gebauten Skulpturen, die gemalten Leichentücher, die Totenkleider gedenken der Personen, aber nur der Eingeweihte kann die komplexen Bezüge nachvollziehen. Wie um den Nachruf sprechender zu machen, hat Barbara Schimmel die künstlerische Form entwickelt, bei der Bahrtücher mit einem auf dem Boden liegenden großen Text verknüpft sind. Der Text stellt poetische Beschreibungen der Kraftströme dar, in die das Leben der Verstorbenen gestellt war.

Beim Lesen und Verstehen dieser Texte steht der Betrachter eine geraume Zeit ruhig und konzentriert vor dem künstlerischen Werk. Was aus der subjektiven Trauer um den Verlust einer einzelnen Person entstanden ist, erfährt in seiner künstlerischen Objektivierung, in der Ausstellung und letztendlich in der Art der Wahrnehmung durch die Besucher eine Wandlung zur kollektiven Trauer über die Endlichkeit des Lebens schlechthin.

Barbara Schimmels Schaffen ist nur schwer einer künstlerischen Gattung zu­zuordnen. Sie benutzt Farbe für ihre Trauergewänder, bemalt Bahr‑ und Totentücher, aber sie ist nicht alleine Malerin. Sie entwickelt und moduliert Skulpturen, aber sie ist keine reine Bildhauerin. Sie baut Objekte, dennoch ist sie nicht Objektkünstlerin. Sie ist eine Künstlerin, die auf vielen Kommunikationskanälen sendet und empfängt, aber innerhalb der tradierten künstlerischen Gattungen kann sie keine eindeutige Heimstatt finden. Gerade dieser mühevolle Weg zwischen den fest umrissenenen Begriffen versetzt sie in die Lage, Themen, die wegen ihrer starken emotionalen Wirkung aus der Öffentlichkeit verdrängt werden, mit neuen Sichtweisen und unter Zulassung der Reibungen, die sie beim Betrachter hervorruft, künstlerisch unvoreingenommen zu verarbeiten. Wer sich mit ihrem Werk offen auseinandersetzt, wird die heilende und mildernde Kraft, die ihren Arbeiten innewohnt, empfinden.
 

Hans Knopper 1997

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