Kultur wirkt.
Hans Knopper: Blankwaffen im 19. und 20. Jahrhundert.-
in: Deutsches Klingenmuseum Solingen. Führer durch die Sammlungen.-
Köln: Rheinlandverlag 1992.-
S. 104-114.-
Text:
Seit dem 18. Jahrhundert trat die militärische Bedeutung der Blankwaffe zunehmend hinter diejenige der Handfeuerwaffe zurück. Lediglich das Bajonett hat seine Bedeutung bis heute nicht verloren.
Gelegentliche Versuche, den Soldaten das beschwerliche Tragen von Degen und Säbeln zu ersparen, quittierten diese „durch außerordentliches Murren und Mißvergnügen". Wohl auch deshalb, weil „dieser Umstand einen so widrigen Eindruck auf den gemeinen Mann" machte.
Mit dem Tragen der blanken Waffe waren auch im 19. Jahrhundert noch symbolische und speziell männliche Inhalte verbunden. Bei der Gefangennahme oder der Kapitulation übergab der Kommandierende seinen Degen als Zeichen seiner Unterwürfigkeit.
Selbstdarstellung und Würde waren eng mit der Waffe verknüpft. Die mythische Ausstrahlung der blanken Waffe wurde seit der Reichsgründung 1871 immer mehr für die Darstellung übersteigerter nationaler Gefühle mißbraucht.
Seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon wurden die Form und die Größe der Waffen zunehmend durch Vorschriften vereinheitlicht. Das entsprach dem individuellen Schmuckbedürfnis des Soldaten nicht mehr. Es wurde in Militär- und Beamtenkreisen üblich, zu Jubiläen und anderen Anlässen besonders kostbar gearbeitete, mit Widmungen versehene Waffen zu verschenken. Diese Ehrendegen und -säbel sind in dem prunkvollen, reiche Feuervergoldung liebenden Stil des Empire gearbeitet. Auf dem Gebiet der Blankwaffe blieb dieser Stil neben dem Neurokoko und dem Historismus bis zum Ersten Weltkrieg wirksam.
Französische Blankwaffen der Revolutionszeit
Mit der Französischen Revolution von 1789 trat der Degen, der bis dahin übliche Blankwaffentyp, zunächst in den Hintergrund, weil er als Symbol der alten untergehenden Gesellschaft gesehen wurde. Das an die Macht gelangte Bürgertum bevorzugte den Säbel als Würdezeichen, der bald darauf auch in den anderen europäischen Ländern beliebt wurde.
Auf der Suche nach neuen Gesellschaftsformen gründeten die Jakobiner, die radikalen Vertreter der Revolutionsideen, die kurzlebige Militärschule Ecole de Mars. Der Maler Jacques Louis David entwarf die Uniform der jungen Soldaten. Er ließ sich dabei von seiner Vorstellung von römischen Legionären leiten. Das Schwert der Ecole de Mars ist inspiriert vom Gladius, dem römischen Kurzschwert.
Solingen unter der Herrschaft Napoleons
Mit den Eroberungsfeldzügen Napoleons I. zerfiel das seit 962 bestehende Heilige Römische Reich Deutscher Nation. 1805 besiegten Napoleons Truppen die verbündeten Streitkräfte von Zar Alexander I. von Rußland und Kaiser Franz II. von Österreich. 1806 legte Franz II. die Kaiserkrone nieder. Als Pufferstaat zwischen seinem Reich und dem noch intakten Königreich Preußen errichtete Napoleon 1806 das Großherzogtum Berg. Er setzte seinen Reitergeneral und Schwager Joachim Murat als Großherzog ein.
Solingens Fabrikanten beeilten sich, ihrem neuen Landesherren einen Ehrendegen zu überreichen, nicht ohne den Hintergedanken, daß durch seine Vermittlung Solingen die Stellung eines Hauptlieferanten für die französischen Heere erhalten könne. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht.
Blanke Waffen für Preußen
In künstlerischer Hinsicht setzte das 19. Jahrhundert für die Entwicklung der Blankwaffe keine neuen Impulse.
Den Möglichkeiten der Industrialisierung entsprechend, bearbeiteten nun nicht mehr einzelne Meister in ihren Kotten individuell die Klingen, sondern es entstanden größere Werkstätten, Manufakturen und schließlich Fabriken, die mit zahlreichen Angestellten große Mengen genau gleicher Stücke fertigten.
Militärische Blankwaffen unterlagen strengen Vorschriften, die im wesentlichen nur die Zweckmäßigkeit der Waffe berücksichtigten. Die Fabrikanten versuchten, innerhalb dieses abgesteckten Rahmens ein möglichst gut verkäufliches Firmenmodell anzubieten. Wenn die Abweichung zu groß war, bestand allerdings die Gefahr, daß dieses Stück zur offiziellen Uniform nicht getragen werden durfte.
Zu Anfang des Jahrhunderts ist die Bewaffnung der überlegenen napoleonischen Truppen auch für Preußen Vorbild gewesen. Der französische „sabre briquet" war z. B. das Vorbild für den preußischen Infanteriesäbel M 1818, der zuletzt 1914 noch als eindrucksvolles Amtszeichen des deutschen Polizisten getragen wurde.
Exportwaffen aus Solingen
Im 19. Jahrhundert lieferten Solinger Fabrikanten große Teile ihrer Waffenproduktion ins Ausland. Großaufträge z. B. für englische Bajonette oder amerikanische Säbel boten Arbeit für mehrere Jahre und ließen die Exportrate auf über 50% steigen. Obwohl viele Länder eigene Klingenproduktionsstätten besaßen, blieben die Solinger Erzeugnisse wegen ihrer hohen Qualität gefragt.
Es verwundert daher nicht, wenn ausländische militärische Blankwaffen Solinger Fabrikmarken tragen. Auf englischen Waffen findet sich des öfteren die Herstellerbezeichnung „J. J. Runkel, Solingen". Da dieser Name in Solingen nicht bezeugt ist, handelt es sich wohl um einen nach England ausgewanderten Klingenschmied, der mit seiner Herkunft aus der berühmten Klingenstadt warb.
Seitengewehre und Faschinenmesser
Als Seitengewehr bezeichnete man ursprünglich alle an der Flanke getragenen Verteidigungswaffen. Heute sind mit dieser Bezeichnung die auf das Gewehr aufpflanzbaren Bajonette mit Griff gemeint. Entstanden sind die Seitengewehre aus dem Hirschfänger, der Gebrauchswaffe des Jägers. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden sie als Militärhirschfänger Bestandteil der Uniform der neu aufgestellten Fußjäger- und Schützenformationen. Im 19. Jahrhundert ist der aufpflanzbare Hirschfänger dann mit dem grifflosen Bajonett zum Seitengewehr verschmolzen.
Das Faschinenmesser verdankt seine Bezeichnung der Faschine, dem Reisigbündel, das beim Deich- und Befestigungsbau verwendet wurde. Als Haumesser diente es zur Gewinnung von Schanzmaterial und zur Schaffung eines freien Schußfeldes. Die Pioniere, Kanoniere und zum Teil auch die Infanteristen der europäischen Heere waren während des 19. Jahrhunderts mit ihnen ausgerüstet.
Ehrenwaffen
Staatliche Vorschriften legten Größe, Ausführung und Schmuck der nunmehr in großen Stückzahlen produzierten Blankwaffen millimetergenau fest. Nur noch die Ehrendegen und -säbel durchbrachen diese Uniformität. Durch Inschriften stellten sie die Persönlichkeit und besonderen Verdienste ihres Besitzers heraus. Den Produzenten von Blankwaffen boten sie noch einmal Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit ihrer Schmiede, Vergolder, Ätzer, Graveure und anderer Kunsthandwerker unter Beweis zu stellen.
Prunkdegen
Das deutsche Kaiserreich mit seinem Nationalbewußtsein und seiner Ausrichtung auf das Militärische brachte eine erhöhte Nachfrage nach Blankwaffen. Die Solinger Industrie profitierte davon.
Als 1895 Otto Fürst Bismarck, der Gründer des Deutschen Reiches, seinen 80. Geburtstag feierte, erhielt er einen überreich verzierten Prunkdegen als Geschenk von „der dankbaren Waffenstadt Solingen".
Der Degen war seinerzeit so bekannt und geschätzt, daß er massenweise in Miniatur als Brieföffner verkauft wurde.
Fälschungen
Der Dresdner Anton Konrad machte sich in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen die große Nachfrage nach Prunkwaffen des 16. und 17. Jahrhunderts zunutze. Er studierte die alten Techniken des Eisenschnitts, der Tauschierung und der Silberinkrustation, bis er sie schließlich meisterlich beherrschte. Über einen Zeitraum von 30 Jahren fertigte er als Fälscher mehrere hundert eigene Neuschöpfungen an, die er über einen Kunsthändler als Originale an Sammler und Museen versteigern ließ.
Heute fällt es leicht, Konrads Fälschungen zu erkennen. Es ist zum Beispiel eine alte, unumstößliche Regel, daß die eingeschlagene Marke des Klingenschmiedes richtig und ablesbar zu sein hat, wenn man die Klinge gezogen, mit der Spitze (dem Ort) nach oben vor sich hält. Bei Konrad-Klingen steht sie durchweg verkehrt. Ferner ist die Alterung der Stücke unnatürlich auf chemische und mechanische Weise zustande gekommen, die Gefäße sind meist zu groß, die Klingen zu lang und die Waffen insgesamt zu schwer.
Schwertritus bei den Freimaurern
Der Männerbund der Freimaurer hat sich zum Ziel gesetzt, auf der Grundlage der sittlichen Veredelung des Menschen einen allgemeinen Menschheitsbund herbeizuführen. Diese nur Männer zulassende Bruderschaft pflegt einen Symbolkult, der nur Eingeweihten zugänglich gemacht wird und der auf die Gebräuche mittelalterlicher Bauhütten zurückgeht. Die regelmäßig stattfindenden Tempeldienste haben den Zweck, die Mitglieder im rituellen Gemeinschaftserlebnis zusammenzuschließen. Vor allem im 19. Jahrhundert besaß die Freimaurerei große Anziehungskraft.
Eine Abbildung zeigt die Aufnahme eines Neulings in den Freimaurerbund. Die linke Brustseite, der linke Arm und das Knie werden entblößt. Schmuck und Geld sind abgelegt und die Augen verbunden. Symbolisch ist der Novize nun blind, arm und hinkend, das heißt unwissend und auf die Hilfe seiner künftigen Logenbrüder angewiesen. Mit dem geflammten Schwert wird die Aufnahme symbolisch vollzogen.
Der Mythos vom Schwert
Schon seit dem späten Mittelalter war die symbolische Bedeutung des Schwertes wichtiger geworden als sein Gebrauch in Kampf und Krieg. Das Schwert wurde zum Zeichen für Kraft, Macht und Herrschaft schlechthin. Wer es besaß oder sich damit schmückte, galt als unbesiegbar.
Im 19. Jahrhundert wurde die Symbolkraft des Schwertes zu einem verhängnisvollen Mythos, den Politiker, Künstler und Interessengruppen aller Art für ihre Zwecke nutzten. Im Wunsch nach einer geeinten und starken deutschen Nation beschworen sie die Erinnerung an alte germanische Helden wie Hermann der Cherusker oder Siegfried. Ebenso verklärte man Bismarck und Kaiser Wilhelm I. als siegreiche Kämpfer für das neue Deutsche Reich.
In zahllosen Bildern und Denkmälern, Reden und Schriften, sogar in Musikstücken, wurde das Schwert verherrlicht und mit ihm der Glaube an die Unbezwingbarkeit Deutschlands. Nach dem Ersten Weltkrieg benutzten die Nationalsozialisten unter ihrem Führer Adolf Hitler den Mythos vom Schwert noch einmal, um das deutsche Volk für einen Krieg geistig aufzurüsten, in dem mehr als 50 Millionen Menschen sterben mußten.
Demgegenüber war die bereits im Alten Testament vom Propheten Jesaja erhobene Forderung, „Schwerter zu Pflugscharen" zu schmieden, jahrhundertelang fast vergessen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mißbrauchte die Propaganda einiger kommunistischer Staaten diese Losung, um von ihrer Aggressionspolitik abzulenken. Erst in den 70er und 80er Jahren wurde „Schwerter zu Pflugscharen" zum Motto einer demokratischen Friedensbewegung.
Blanke Waffen aus der 'Nazizeit'
In der Propaganda des Nationalsozialismus spielte der wehrhafte, mit Schwert und Dolch bewaffnete Mann eine große Rolle. Diese Vorstellung stand nur scheinbar im Widerspruch zu der hoch technisierten Kriegsrüstung und späteren Kriegsführung. Schon der zehnjährige 'Pimpf' des 'Jungvolks' trug ein Fahrtenmesser mit der Inschrift 'Blut und Ehre'. Es sollte ihm das Gefühl vermitteln, stark und unbesiegbar zu sein im Kampf für dasVaterland und die Idee des Nationalsozialismus.
Die unterschiedlichen Formationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) sowie der Wehrmacht waren mit eigenen Dolchen, Degen und Säbeln ausgerüstet.
Auch Beamte, Angestellte und Angehörige des öffentlichen Lebens trugen Blankwaffen als Zeichen ihres Ranges oder erhielten sie in Anerkennung ihrer Verdienste für den 'Führer' Adolf Hitler.
Der gestiegene Bedarf an Blankwaffen brachte für die Solinger Klingenwerkstätten ab 1933 eine wirtschaftlich glänzende Zeit. Manche Messerfabrik stellte sich um auf die Herstellung von Dolchen.
Heute sind originale 'Naziwaffen' bei vielen Sammlern begehrt. Auch zahlreiche Fälscher machen ein Geschäft mit diesen Relikten, die aus der unheilvollsten Epoche deutscher Geschichte stammen.
Ein Germanenschwert des 20. Jahrhunderts
Während der nationalsozialistischen Diktatur stand alles, was geeignet war, die angebliche Überlegenheit der germanischen Rasse belegen zu können, hoch im Kurs. Mit entsprechendem Ehrgeiz gestaltete der Leiter der Solinger Fachschule für die Stahlwarenindustrie, Professor Paul Woenne, seine aufwendige Nachschöpfung einer germanischen Prunkwaffe, die die Form eines Richtschwertes aufnimmt.
Anders als frühere Ehrendegen ist diese Waffe nicht einer Person, sondern einem ganzen geschichtlichen Zeitabschnitt gewidmet. Die Waffe ist zum propagandistischen Kultgegenstand geworden, der im Betrachter ein Gefühl für germanische Größe entstehen lassen soll.
Blankwaffen heute
Die Produktion von Blankwaffen spielt heute wirtschaftlich keine Rolle mehr. Ihre Bedeutung haben sie lediglich noch im Bereich der militärischen Traditions- und der zivilen Brauchtumspflege. Stilistisch sind sie nur noch Wiederholungen bekannter älterer Typen.
Hans Knopper 1991
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