Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Georg Meistermann. Ein streitbarer, universeller Künstler

Hans Knopper: Georg Meistermann. Ein streitbarer, universeller Künstler.- In: Zeitschrift Neues Glas / New Glass 4/90, S. 284-293.- 
Herausgeber: G. Nicola, Dr. Helmut Ricke.-
Layout: R. Hülshorst.-
ISSN: 0732-2454
 

Der Text von Hans Knopper:

Der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bot der Glasmalerei enorme Entwicklungsmöglichkeiten. Diesen Sommer verstarb im Alter von 79 Jahren der Maler Georg Meistermann, der wie kein Zweiter dem Aufschwung der deutschen Glasmalerei wichtige künstlerische Impulse gegeben hat.

Schon gegen Ende der 40er Jahre gehörte Meistermann zusammen mit Ernst-Wilhelm Nay und Fritz Winter zu jenen abstrakten Malern, welche die deutsche Kunst aus der 12jährigen Isolation der Nazizeit herausführten und Anschluss an die internationale Kunstszene gewannen. In seinem fast unüberschaubaren glasmalerischen Schaffen hat Meistermann weit mehr als 7000 qm Glasfenster für mehr als 140 sakrale und profane Architekturen geschaffen, vom kleinen Fenster hin bis zur riesigen Glaswand, für romanische Kirchen ebenso wie für moderne Zweckbauten. Seine wichtigsten Arbeiten sind in Kirchen, öffentlichen und privaten Bauten in West- und Süddeutschland zu sehen, u.a. in Köln, München, Berlin, Frankfurt/M., aber auch in Rom (Vatikan) und Linz/Österreich.

Meistermann gelang es früh, die in der freien Malerei wiedergewonnene Formensprache der Moderne für die gebundene Kunst weiterzuentwickeln. Von 1952 bis 1978 war er Dozent und Professor an den Kunsthochschulen in Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Karlsruhe und München. Seine Erfahrungen als Maler und Glasmaler gab er hier an junge Künstler weiter.

Erst seit dem Ende der 70er Jahre war Meistermann wieder verstärkt als freier, vom Auftraggeber unabhängiger Maler aufgetreten. Für sein künstlerisches Werk und sein öffentliches Wirken wurde er mit zahlreichen hochrangigen Preisen ausgezeichnet.

Georg Meistermann, 1911 in Solingen geboren, stammte aus einer politisch aktiven Handwerkerfamilie. Sein Vater war Stadtrat und Landtagsabgeordneter für die christlich orientierte Zentrumspartei. Gegen den nachdrücklichen Widerstand des Vaters beginnt Meistermann im Alter von 17 Jahren eine künstlerische Ausbildung an der Kunstakademie in Düsseldorf, die damals auch für die zeitgenössische Glasmalerei von Bedeutung war. So war hier Heinrich Campendonk als Nachfolger des 1926 an die Kölner Werkschule gewechselten Jan Thorn Prikker tätig. Von 1932 bis 1933 studierte er bei Heinrich Nauen und Ewald Mataré. Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde neben Klee, Campendonk, Mataré und vielen anderen auch Meistermann zwangsweise von der Kunstakademie entfernt. Er erhält ein Ausstellungs- und Studienverbot. Jährlich wird ihm lediglich 1 qm Leinwand zugestanden, auf der er nicht "entartet" malen darf. 

Auf sich zurückgeworfen und in Opposition zum nationalsozialistischen Staat zieht sich Meistermann nach Solingen in sein Atelier zurück. Ausgehend von zunächst naturalistisch aufgefassten Stillleben über surrealistische Landschaften entwickelt er hier eine eigene, scharfkantige und linienbezogene Malweise. Auffallend war sein motivisches Interesse an Fenster- und Türausblicken. Rückschauend stellte 1971 eine Kritikerin fest: "...er malte die Aussicht aus seinem Atelierfenster als sehnsüchtigen Blick in die Freiheit"(1). 

Zynischer weise sollte Meistermann 1938 dem Staat nachweisen, dass er tatsächlich Künstler war. Als Künstler sollte er nur gelten, wenn er ein daraus resultierendes Einkommen nachweisen könnte. Andernfalls wäre er für das "Schüppen am Westwall" zu rekrutieren gewesen. Aus der Zeitung erfuhr er vom Wunsch eines Pfarrers aus Solingen-Mangenberg, seine Kirche mit Glasfenstern auszustatten. Meistermann entwarf die Fenster gratis und erhielt dafür die benötigten Einkommensnachweise. Die Gestaltung dieser Fenster war ganz in Meistermanns Hand gelegt. Abbildungen der im Krieg zerstörten Fenster zeigen die stilistische Nähe zu Jan Thorn Prikker und zu dessen "Laster...der mechanischen Kantung aller Form, die zwar Strenge verhieß, aber Verbleiung und Zeichnung ineinandermengte und so den Teil des Malens ins Färben zu mindern drohte", wie 1958 der Kunsthistoriker Carl Linfert bemerkte (2). 

Der Künstler entwickelte schon für diese Fenster eine Arbeitsweise, die er auch in Zukunft beibehalten sollte und die Auswirkungen in zweierlei Hinsicht zeitigte: denn zum einen arbeitete er direkt in der Originalgröße des Fensters. Auf skizzierende Vorentwürfe verzichtete er. Diese Vorgehensweise hatte den Vorteil, dass selbst kleine Nuancen in der Linienführung ungetrübt umgesetzt wurden. Die Spannung, die Länge und die Gestalt der Linien waren aus dem gestischen Verhalten des Künstlers vor dem tatsächlichen Format des Fensters entstanden. Die Fensterfläche wurde sozusagen zur Leinwand des GlasMALERS. Zum anderen konnte Meistermann auch deshalb seinen Auftraggebern vorab keine Entwürfe zeigen. Änderungswünsche und thematische Einschränkungen und Missfallenskundgebungen der künstlerischen Autonomie Meistermanns gegenüber, die häufiger formuliert wurden, kamen immer zu spät, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert zu werden. Zahlreiche interessante Auseinandersetzungen sind so der Nachwelt in Zeitungsnotizen und Briefen erhalten geblieben (3).

1952 entwarf Georg Meistermann ein über mehrere Etagen reichendes, in Antikglas ausgeführtes, 54 qm großes Treppenhausfenster für das Funkhaus des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Die prismenhafte Kantigkeit seiner frühen Fenster war einem freien Farb- und Formspiel gewichen, das eine Auseinandersetzung mit Leger und vor allem Miró voraussetzte. Kristallisationspunkt für Meistermanns Phantasie war hier die Funktion des Rundfunkgebäudes. Er sagte selbst dazu: "Mich hat bei den Fenstern für den Kölner Rundfunk damals der Versuch gereizt, Bilder zu erfinden, etwas darzustellen, das mit Sender, Ausstrahler, Richtstrahler, Antenne, mit Empfangen, Hören, Wahrnehmen zu tun hat; bis dahin nur Funktionen rein technischer Art. Zwar kein Bild (ist entstanden, d.Verf.), aber etwas, das diesem Gebäude zugeordnet ist." (4)

Der Erfolg dieser ersten großen Glaswand bestand wohl darin, dass sich die Glasmalerei nicht in der Dekoration einer vorgegebenen, begrenzten Fensterfläche erschöpfte, sondern die über mehrere Geschosse reichende Gesamtfläche zusammenfasste und die Formensprache der modernen, abstrakten Malerei verwendete, um ein neues technisches Lebensgefühl auszudrücken. Die künstlerische Qualität dieses Fensters in einem stark frequentierten öffentlichen Gebäude und die Unterstützung bei der Kontaktaufnahme zu potentiellen Auftraggebern durch die Glasmalerei Derix Kaiserswerth ließen Meistermann in den folgenden anderthalb Jahrzehnten zum meist beschäftigten und meist beachteten Glasmaler Deutschlands werden.

Aus den vielen richtungsweisenden Fenstergestaltungen ragt das Fenster in der Kirche Heilig Kreuz in Bottrop besonders hervor. Auf genial klare und einfache Weise decken sich hier die Absichten der Architektur mit der symbolischen Bedeutung des Meistermannschen Entwurfs. Rudolf Schwarz, der Architekt der Bottroper Kirche, wählte als Grundriss die Form einer Parabel, in deren innerem Bogen der Altar stehen sollte. Als Abschluss der Parabel war eine ca. 300 qm große Fensterwand vorgesehen, die konstruktiv in zahlreiche dreieckige Flächen aufgeteilt war. Meistermann gestaltete diese zahlreichen Einzelflächen als eine Einheit, indem er eine stark bewegte Form die stabilen Elemente des Fensters überspielen ließ. Er fand damit eine nicht nur seinerzeit ungewöhnliche Lösung, die auch von außen sinnvoll betrachtet werden konnte. Er erinnerte sich: "Die Parabel ist eine Form, die sich im Unendlichen nirgends schließt, sie strebt immer weiter auseinander. Oder: sie fängt den gesamten Kosmos auf und führt ihn zum Altar zurück. Das war die liturgische Idee von Schwarz. Mir fiel spontan dazu ein, dass einer solchen aussendenden und zugleich wieder aufnehmenden Form im Aufriss nur eine Form entspricht, die Spirale. Die läuft - von innen gesehen - nach außen; und von außen betrachtet mündet sie - zentripetal - wieder in sich zurück. Es war einer jener schönen Fälle, wo man sich mit einem intelligenten Architekten sofort einig ist, es so zu machen."(5) 

Als Präsident des Deutschen Künstlerbundes von 1967 bis 1972 stritt Georg Meistermann nachhaltig für eine Autonomie der Künstler und der Kunst im Staate. Zu heftiger öffentlicher Auseinandersetzung in dieser Frage kam es aber erst, als er ein ungewöhnliches Porträt des damaligen von der SPD gestellten Bundeskanzlers malte. Diese "Farbigen Notizen zu einer Biographie des Bundeskanzlers Brandt 1969-1973" erfüllten die konservativen Erwartungen, die an ein Repräsentationsgemälde gestellt wurden, nicht. Wie zur Bestätigung für Meistermanns oft erhobenen Vorwurf, dass der Staat sich mit seinen Künstlern nicht identifiziere, wird dieses Porträt in der Ahnengalerie des Bunderkanzleramtes bis heute nicht gezeigt sondern durch ein naturalistisches Bildnis Brandts ersetzt.

Bei einem Künstler, der die Glas- und Ölmalerei gleichermaßen erfolgreich betrieb und sich zudem nur ungerne als Glasmaler bezeichnet sah, liegt die Frage nach den Beziehungen, die zwischen seiner Malerei und seinen Fenstern bestanden, nahe. In einem Gespräch antwortete er darauf: "Ich habe noch nie ein Fenster perfektionieren können durch ein Bild, das ich gerade in Arbeit habe. Nein, das ist immer völlig getrennt. Es fällt mir jetzt, wo Sie danach fragen, überhaupt erst so recht auf, wie sehr und wie völlig beide Bereiche voneinander unabhängig sind."(6) Hinzu kommt, dass bei einer Fenstergestaltung die architektonischen Bedingungen, die Größe des Raumes und die Helligkeitsverhältnisse berücksichtigt werden müssen. Reagierendes Verhalten ist dazu notwendig. Die anfängliche Leere der Leinwand verlangt hingegen Aktion. Ölmalerei und Glasmalerei sind voneinander unabhängig, aber sie sind künstlerisch gleichrangige Formulierungen eines übergeordneten Welterlebens. Für Meistermann war die Welt immer gegenständlich und auch seine ab strakten Bilder zielten letztlich immer auf die Abbildung der Welt. War in seinem malerischen Frühwerk das Fenster die Scheidelinie von innen und außen, so wurde in den späteren Arbeiten "das Entgegenschweben von Welt, sei es einer inneren oder äußeren, auf der Leinwand aufgefangen, so als sei sie der Bruchstrich zwischen Nenner und Zähler, d.h. zwischen mir (Meistermann, d. Verf.) und dem "Anderen"."(7) So wird in der Ölmalerei das Schweben, in der Glasmalerei die Fensterfläche als dünne Trennungsmembran an der Schnittstelle von Profanem und Sakralem zum Thema. Erlebbar werden diese letzten Gegenstände in beiden Bereichen nur durch ein meditatives Betrachterverhalten. Meistermann zitierte gerne eines Satz seines Freundes Hans Purrmann: "Bilder sind so schnell gesehen, wie sie gemacht sind".(8)     

Im Schweizerischen Museum für Glasmalerei in Romont fand diesen Herbst die letzte noch von Meistermann mitorganisierte Ausstellung statt, die sein Werk dem Ludwig Schaffraths gegenüberstellte. Der Katalog sei empfohlen.
 

(1)  Klapheck, Anna: Abstrakte Kunst - Aus druck der Freiheit. Georg Meistermann wurde sechzig.- In: Rheinische Post, Düsseldorf, 26.6.1971.-
(2) Linfert, Carl: Georg Meistermann.- Recklinghausen: Bongers 1958, S.5.-
(3)  In Auswahl abgedruckt in: Ausstellungskatalog Nürnberg 1981: Georg Meistermann, Werke und Dokumente.-
(4) Georg Meistermann, Die Fenster der Feldkirche, Katalog der Galerie Hennemann, Bonn 1979, S.14.
(5) daselbst, S.19f.-
(6) daselbst, S.16.-
(7) + (8) Georg Meistermann. Katalog Nr.12 der Galerie Hennemann, Bonn 1977, o.S.-

Hans Knopper 1990

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