Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Marie Ruffert,
Landschaften

Ausstellungskatalog Galerie Ilverich:
Marie Ruffert, Landschaften.- Mit einem Text von Hans Knopper.-
28 S., 24 x 21 cm, mit 7 einmontierten Fotografien.-
Ausstellung im Februar 1990.
Aufl.: 100 nummerierte und signierte Exemplare


Der Text von Hans Knopper:

Landschaftsmalerei Marie Ruffert

In den letzten Jahren ist die malerische Auseinandersetzung mit der Landschaft zu einem zentralen Thema im vielseitigen Schaffen von Marie Ruffert geworden.

Auffallend sind u.a. vier große quadratische Landschaftsgemälde, die 1989 entstanden sind. Zu sehen sind alle Elemente einer in ihrer Oberfläche vielgestaltigen Gebirgs- und Berglandschaft. Täler schneiden sich zerklüftend in Flächen ein, Hänge führen zunächst sanft, dann steil zu Gipfeln hinauf. Im Kern gilt das Interesse der Künstlerin denjenigen Bereichen dieser Landschaften, wo breit lagernde Flächen mit den emporstrebenden Gesteinsmassen kollidieren. Die Landschaft ist hier begriffen als ein Kräfteschauspiel. So werden diese Gemälde dem Betrachter nicht als Porträts einer Landschaft wiedererkennbar, die durch die Augen der Künstlerin gesehen wird, sondern er sieht sich sofort in die Auseinandersetzungen zwischen diesen landschaftlichen Formationen einbezogen. Der Beschauer sucht seinen eigenen Standort und gerät dabei in einen Schwebezustand. Er kann immer nur für Teilbereiche des Bildes ein sicheres Standgefühl entwickeln. Wandert sein Blick weiter über das Bild, so muss er sich neu orientieren.  Da der Horizont in diesen Bildern weit nach oben gerückt ist und nur wenig vom Himmel preisgibt, kann der Blick des Beschauers nicht erleichtert über die Landschaft hinweg in die Ferne schweifen. Eher schaut er auf die Landschaft wie mit geneigtem Kopf hinab. Indem er so alle Einzelheiten wahrnehmen muss, die Kleinstrukturen des Bildes liest, baut er die Landschaft mit von Grund her auf.

In diesen Naturansichten ist das Gefügtsein, die organische Struktur und das Zusammenspiel der einzelnen Elemente zum Bildthema geworden. Die Sensation der hohen Berge oder der Liebreiz einer Landschaftsansicht treten zurück. Dieser Enthaltsamkeit vordergründigen Mustern gegenüber entspricht das gewählte Bildformat. Weder ein fast sakral überhöhendes Hochformat noch ein weitschweifig ausladendes Querformat lenken die Aufmerksamkeit ab. Das ausgewählte, ruhige quadratische Format macht den Blick frei für die der Landschaft innewohnenden Kraftspannungen und -strukturen.

Aber woher rühren diese Strukturen?

Bei der Betrachtung früherer, aus den Jahren 1985-87 stammender Arbeiten Marie Rufferts fällt auf, dass diese in der Regel, sofern sie Landschaftsdarstellungen sind, in einem konkreten Bezug zu einer Reise bzw. einem Landschaftserlebnis stehen. Sie sind im Format kleiner, haben Skizzencharakter und gehen gelegentlich auf Studien, die in der freien Natur entstanden sind, zurück. In ihnen ist ein enger Bezug zu einer erlebten Landschaft spürbar. Diese Bilder sind oft schnell, wie aus einem einheitlichen Gefühl heraus, mit gestischem Elan geschaffen. Nur gelegentlich sind Stellen des Bildes mehrfach übermalt bzw. von Anfang an pastos angelegt.

In den jüngeren Arbeiten von 1988-89 tritt zu diesem Ansatz ein neuer Aspekt hinzu, der an einem maltechnischen Detail nachvollziehbar wird. Hier beginnt die Farbe ihren Materialcharakter zu behaupten. An verschiedenen Stellen bleibt sie dick auf der Leinwand stehen. In dieser Situation greift die Künstlerin zu einem völlig neuen Mittel. Sie trägt an bestimmten Stellen die noch nicht ganz getrocknete Farbe mit einem Spachtel wieder ab. Sie gräbt in tiefer liegende, ältere Farbschichten und legt sie, um Wisch- und Kratzspuren bereichert, wieder frei.

Dieser zunächst nur technische Vorgang beinhaltet ein Moment der Überraschung, da sein Ergebnis vorher nicht kalkulierbar ist. Nach diesem Schritt findet die Malerin auf der Leinwand eine veränderte Situation vor. Hier ist die Stelle erreicht, an der sich die Aufmerksamkeit der Künstlerin weg von einem ursprünglichen Landschaftserlebnis hin zu einem Erlebnis vor der Leinwand wendet. Die Landschaft wird somit frei für die Wiederspiegelung von Strukturen, die ihren Ursprung in der Vorstellungskraft der Malerin haben.

In dem Maße, indem die Malerei von der Aufgabe der exakten Landschaftsschilderung entbunden ist, können Empfindungen und Ideen, die erst im Atelier entstanden sind, Teil des Bildes werden. So werden z.B. im Gemälde "Nel Vento Toscano" die Bildstrukturen in eine einander so ähnliche Schwingung versetzt, dass der Betrachter den Eindruck einer vom Wind zerzausten Landschaft erhält. Im Gemälde "Tobel" fügen sich die Einzelformen zu einer struppigen Gesamtbewegung. In der Struktur zunächst urwüchsig, aufgewühlt und beinahe abweisend, verwandelt sich das Bild durch die Erscheinungsweise des Grüns zu einer Quelle sinnlicher Wahrnehmungen, wie sie ein Bergwald in seiner Feuchtigkeit bietet. Im Bild "Faltenbergmassiv" erscheint zwar der dargestellte Berg in seiner Unveränderlichkeit dem Lebensbereich des Betrachters enthoben. Aber im Gegensatz zu dem Ewigkeit ausdrückenden, sich auftürmenden Gestein wirkt der sich im Vordergrund auftuende tiefe Bildraum anziehend. Er lädt zum Betreten geradezu ein.

In den gezeigten Bildern wird die beinahe als entfesselt geschilderte Natur dem Betrachter wieder zugänglich gemacht. Sie wird als nicht gänzlich unbehaust geschildert. Gelegentlich lassen sich in den Formen Wege, Zäune und Abgrenzungen wiedererkennen. Aber auch diese vom Menschen geschaffenen Elemente sind den die Landschaft durchwebenden Kräften ausgesetzt und fügen sich in den Gesamtorganismus des Bildes so ein, wie sich die Künstlerin in ihren Bildern den natürlichen Kräften anzunähern versucht. Das Erlebnis der realen Landschaften bildet den Vorrat an formalen Elementen, die auf der Leinwand frei eine neue Beziehung zueinander eingehen. So bilden diese Arbeiten mit malerisch dichten Mitteln eine eigene Welt ab. Die Grundstruktur dieser neu geschaffenen Natur ist lediglich der seelischen Landschaft der Künstlerin verpflichtet.

Hans Knopper 1989

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