Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Susanne Kessler
Malerei 1983-1987

Ausstellungskatalog  Deutsches Klingenmuseum Solingen: 
Susanne Kessler, Malerei 1983 -1987.- 
Mit einem Text von Hans Knopper.-
24 S., 19 x 21 cm.-
Ausstellung vom 28.6. bis 30.08.1987


Text von Hans Knopper:

Bemerkungen zur Malerei Susanne Kesslers

Susanne Kessler hat von 1975 ‑ 1982 an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. Von Beginn an konzentriert sie sich in ihren Arbeiten auf die Darstellung von Landschaften. Zunächst verarbeitet sie schon vorhandene Landschaftserfahrungen aus der Erinnerung heraus zu Bildern. Dann beginnt sie den Berliner Stadtteil Kreuzberg in einem alten Auto zu erkunden. In dem mobilen Atelier entstehen an Ort und Stelle auf Papier gearbeitete kleine Stadtlandschaften. Die Auswahl der Motive ist kennzeichnend: Resthäuser, Abbruchstellen an Gebäuden, Brandmauern, Plätze. Stellen fesseln sie, an denen andere Verhältnisse zwischen Gebäudevolumen und Freiraum herrschen, als man sie von geschlossenen Straßenzügen her gewohnt ist. Zwischen diesen plastischen Grundmöglichkeiten gibt es in den ausgesuchten Situationen keine von vornherein klare Trennung. Sie bedrängen und durchdringen sich gegenseitig. In den Arbeiten geht sie diesen zunächst ungeklärten Verhältnissen nach, bis sie in den vollendeten Gemälden wieder eine relative Gefügtheit der Realität hergestellt hat.

Die während der Ausflüge innerhalb Berlins gearbeiteten Skizzen bereichern und verändern den Formenschatz, über den die Künstlerin in ihrem Atelier verfügen kann. Ein Aufenthalt in Frankreich führt zu einer Auseinandersetzung mit der Farbe. Tief beeindruckt von der dortigen Landschaft kehrt die Malerin nach Berlin zurück und benutzt kräftigere und leuchtendere Farben, die in den wieder aufgenommenen Bildthemen der Stadtlandschaft größere Eigenständigkeit erlangen.

1981 ernennt die Hochschule der Künste sie zur Meisterschülerin. Als Stipendiatin des Royal College of Art beginnt sie im gleichen Jahr einen längeren Aufenthalt in London.

Wie es schon zuvor mehrfach der Fall war, erfährt die künstlerische Entwicklung Susanne Kesslers durch die Auseinandersetzung mit einer veränderten Umgebung einen starken Impuls. Wohl auch in Erinnerung an ihre Erfahrungen in Berlin lernt sie die Stadt London gründlich dadurch kennen, daß sie diesmal mit dem Fahrrad durch die Stadtteile fährt und skizziert. Sie registriert die Gebäudeblocks des sozialen Wohnungsbaus, Hafenanlagen, Brücken. In ihrem Londoner Atelier verarbeitet sie die gemachten Erfahrungen. Aber diesmal beginnt eine schrittweise Loslösung von der gegenständlichen Malerei. Hatte sie sich bisher bemüht, die in der Realität der Stadtarchitektur erlebten Besonderheiten wie das Aufragen skurriler Konstruktionen, das Überspannen der Brücken, das Klaffen von Bebauungslücken in ihren Bildern zu rekonstruieren und abzubilden, so befreit sie sich jetzt von. dieser Einengung. Das Erlebte wird zwar ins Bild eingebracht, aber nicht um es realistisch abzubilden, sondern um es in der bildnerischen Szenerie wirken zu lassen, Auswirkungen innerhalb des Bildes zu registrieren, auf diese einzugehen und wie spielerisch ‑ jetzt Iosgelöst von der ursprünglichen Situation ‑eine Bildkomposition um sie herum zu entwickeln. Die Entdeckung der Abstraktion mit ihren Möglichkeiten für die Malerei Susanne Kesslers bildet den künstlerischen Ertrag dieses Auslandsaufenthaltes.

Heute hat Susanne Kessler ihr Atelier in Wuppertal. Nur den wärmeren Teil des Jahres hält sie sich hier auf. Die übrige Zeit nutzt sie zu Reisen und Aufenthalten in Italien. Auch heute noch entstehen während ihrer Aufenthalte im Ausland kleine Arbeiten, die sie wieder mit nach Wuppertal bringt. Aus dem Vorrat der gemachten visuellen Erfahrungen entstehen dann zum Teil großformatige Öl‑ und Acrylgemälde.

Die im Deutschen Klingenmuseum gezeigten Arbeiten sind alle zwischen 1983 und 1987 entstanden. Neben völlig ungegenständlichen Darstellungen finden sich auch solche Gemälde, die noch Landschaftsrelikte erkennen lassen. Eine dieser Landschaften ist in einem extremen Querformat, das die erzählerische Struktur des Bildes betont, ausgeführt (Abb. 5). Der Zuschauer kann dem Bild gegenüber leicht den richtigen Betrachtungsmodus finden: ersteht einer Gebirgslandschaft mit Wiesen, Bäumen und einem Strommast gegenüber. Der Punkt, von dem diese Landschaft wiedergegeben ist, wird für den Betrachter spürbar. Er steht sozusagen auf sicherem Boden. Das Auge des Betrachters ist es, das sich bewegt, die expressiven Bildformen abtastet, Form und Farbe zu Räumlichkeiten zusammenfaßt. Die malerische Logik des Bildes ist leicht nachvollziehbar, weil die auftauchenden Realitätsfragmente ausreichen, Erinnerungen im Betrachter an ähnliche, von ihm selbst gesehene Landschaften zu erwecken.

Obwohl auf dem Gemälde „Berg" ähnliche Formen und Farbstrukturen auftauchen, ist der Betrachter hier sehr viel stärker beunruhigt (Abb. 2). Da er nicht ohne weiteres eine konkret gemeinte Situation erkennen kann, muß er sein Verhältnis zum Bild selbst finden. Läßt er sich vom Titel leiten, könnte er einen Berg an einer Küste erkennen. In diesem Fall wäre er vom Dargestellten räumlich weit entfernt. Gefiel es ihm, eine liegende Person zu erkennen, wäre er plötzlich sehr nahe am Geschehen. Diese vordergründige Unklarheit zwingt den Betrachter, die Einzelformen des Bildes zu prüfen und Brüche, Kontraste und Konfrontationen als solche wahrzunehmen und sie in ihren Wirkkräften zu beachten.

Diese Haltung ist vor allem vor den großen quadratischen Arbeiten notwendig (Abb. 7/8). Rückbezüge auf eine erlebte Wirklichkeit sind nicht leicht möglich. Die einzige Wirklichkeit ist hier die Leinwand selbst, die den Schauplatz abgibt für in sich ruhende Flächen und Energieballungen, Bewegungen und Widerstände, Verschleierungen, Nähe und Tiefe.

Das eigentümliche Interesse der Malerin an Konfliktstellen im Bild wird durch eine Eigenheit in der Entstehung der Arbeiten unterstrichen. Es kommt häufiger vor, daß sie während der Arbeit an einem Bild zahlreiche andere noch unvollendete um sich herum aufgebaut hat. Während sie dieses Bild weitergestaltet, nimmt sie den Entwicklungsstand der anderen wahr, läßt sich von dortigen Situationen inspirieren und malt manchmal sogar an jenen plötzlich weiter. Sie wandert zwischen den Gemälden, nutzt und setzt Impulse, die aus anderen Zusammenhängen entstanden sind und provoziert sich in ihren Bildern selbst.

Die Kräfte, die Susanne Kessler in ihren Arbeiten wirksam werden läßt, müssen innerhalb des Bildes in einem Gleichgewicht gehalten werden. Sie erforscht jedoch auch Möglichkeiten, mit diesen Energien außerhalb der Bildbegrenzung umzugehen. Eine naheliegende Möglichkeit ist die Wiederaufnahme von über den Bildrand wirkenden Bewegungsenergien in einem zweiten und dritten Bildfeld. Das in der Ausstellung gezeigte Triptychon thematisiert diese verzögerte oder beschleunigte Bewegung, indem zwischen den einzelnen Leinwänden ein spannungssteigernder Abstand eingehalten wird. Ein anderer Weg ist die Ausmalung von ausrangierten Adressbüchern, deren dünne Seiten vorher bis auf Pappendicke zusammengeklebt wurden. In diesen Malbüchern reagieren die Gouachen über ihre Begrenzungen hinweg aufeinander, indem sie in eine bestimmte Abfolge eingebunden sind. Folgerichtig sind sie teilweise aufgeschnitten, damit sie den Blick auf die nächste Seite freigeben.

Gelegentlich verspannt Susanne Kessler Leinwände im Raum, wobei tatsächliche Kraftbahnen durch Stahlseile um das Bild herum entstehen. Kürzlich baute sie ein Karussell aus hängenden, bemalten und beschnittenen Leinwänden, die je nach Standort des Betrachters unterschiedliche Durchblicke und Bezugsaufnahmen ermöglichen. Die beiden letztgenannten Werkformen sind im Deutschen Klingenmuseum leider nicht ausgestellt. Einen wesentlichen Aspekt dieser Arbeiten kann der Besucher daher nicht erfahren: daß die vom Bild ausgehenden Bewegungsimpulse ihn selbst im doppelten Wortsinn in Bewegung versetzen.

Susanne Kessler weist sich als eine Malerin aus, die in ihren Bildern die in der Realität wahrgenommenen Widersprüche nicht harmonisiert, sondern sie in ihrer Dynamik zum Mittelpunkt der Auseinandersetzung macht.

Hans Knopper 1987

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