Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Güdny Schneider Mombaur
ReinZeichen 30° 60° 90 °

Ausstellungskatalog  Städtische Galerie im Deutschen Klingenmuseum Solingen:  
Güdny Schneider Mombaur. ReinZeichen 30° 60° 90°.- 
Mit einem Vorwort von Hans Knopper und einem Text von Hanns-Christoph Koch.- 
32 S.,  26 x 24 cm.- 
Ausstellung vom 21.8. bis 2.10.1994. Zur Ausstellung erschien eine Edition.
ISBN: 3-930315-05-X

Vorwort von Hans Knopper:

Der Titel der Installation von Güdny Schneider‑Mombaur „Reinzeichen 30° 60° 90°" enthält die Pole, zwischen denen sich inhaltlich und formal ihr Werk spannt: Waschtemperaturen und Winkelgrade, alltägliche Reinlichkeit und magische Zeichenhaftigkeit, wiederkehrende Handlung und dauerhafte Ordnung. Der Betrachter ist zum einen Teil Urheber und zum anderen Teil mittels seiner Assoziationen schöpferischer Teilnehmer bei der Verknüpfung der verschiedenen inhaltlichen Ebenen.

Aus der Ordnung des regelmäßigen Waschens gewinnt Güdny Schneider‑Mombaur ihr Arbeitsmaterial. Es ist sozusagen das Produkt des Verschleißens und der Reinigung. Die Flusen des Trocknersiebes sind im herkömmlichen Sinne wertlos, unbeachtet, diffus, atomisierte Anteile geliebter Kleidungsstücke. Die Flusen sind rein, sauber, von ihren Inhalten gereinigt. Sie sind auf chaotische Weise miteineinder verkettet und ineinander verwirrt. Der sozusagen zerstörerische Wasch‑ und Trocknungsvorgang hat die Flusen aus dem Zusammenhang gerissen und sie freigesetzt für neue Verbindungen.

Dieses weiche und wieder ursprüngliche Material unterwirft die Künstlerin einer anderen Ordnung. Sie wählt aus und fügt nach Helligkeits‑ und Farbwerten sortiert das Material in kleine Kunststoffglasbehältnisse, die ihrerseits zu Bändern, Stäben oder Schilden zusammengefügt sind. In der Art der Anordnung entsteht ein geometrisches Bild, das im schlichten Wechsel der zarten, verwaschenen Farbigkeit seine Gesetzmäßigkeit findet.

Flusen, die entwerteten Reste einer sozialen Menschheitsordnung, die den Rang des Individuums und seine Stellung in der Gemeinschaft mittels der Kleidung festlegt, werden neu geordnet. Die Gesetze dieser Ordnung sind einfach: Symmetrie, Rhythmus, rechter Winkel und ständiger pulsierender Wechsel. Ihre optische Wirkung hingegen ist magisch. Die Ordnung wird visualisiert und mit einem Ganzheitsanspruch wirksam: möglicherweise hinzukommende Elemente werden in der gleichen Weise geordnet sein. Der unerfüllte Traum, der Mythos einer sinnhaften Ordnung der Welt wird hier thematisiert.

Das endgültige Verschließen der Flusen in Glasbehältnisse hat einen Vorläufer in der christlichen Reliquienverehrung. Als Belege und Beweise der christlichen Heils‑ und Religionsgeschichte wurden Splitter als vom Kreuz Christi, Knochen als von Heiligen stammend in Glaszylindern aufbewahrt und verehrt. Wenn Güdny Schneider‑Mombaur Flusen in ihren Arbeiten verdichtet und in Glas aufbewahrt, so faßt sie damit einen sehr vielteiligen Prozeß mit ungezählten Reinigungsgängen und Waschmaschinenladungen und langwierigen Sortiervorgängen zusammen. Sie verdichtet die Spuren der aufgewendeten Zeit. Sie hebt diese Zeit in ihren Behältnissen auf, stellt sie aus und stiftet ihr in ihrer Anordnung einen neuen Sinn. Die geometrische Ordnung ist zunächst scheinbar offen in der Darlegung ihrer Gesetzmäßigkeit. Diese hat aber keinen darstellerischen Anspruch, kapselt sich somit von den Vorstellungswelten des Betrachters ab, wirkt wie die Verschlüsselung eines Geheimnisses. Die geometrischen Muster stellen eine Anknüpfung an archaische Symbolformen in den europäischen und außereuropäischen Frühkulturen dar. Diese waren zunächst auch frei von gegenständlicher Bedeutung und somit offen für symbolische Bezüge, die in den jeweiligen Kulturen unterschiedlich vollzogen wurden. Die Gesamtform des Dreiecks, des Schildes, des Bandes ist elementar. Für den Betrachter der Werke Schneider‑Mombaurs bedeutet der Rückzug auf archaische Formen den Gewinn einer neuen Freiheit, da für ihn diese Zeichen unbesetzt, neu füllbar sind.

Vor dem Museum ist als Teil der Installation Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Im Ausstellungsraum breitet sich strahlend weiß auf quadratischer Fläche Waschpulver aus. Die Wände tragen die zu magischen Zeichenketten verdichteten Waschspuren: Reinheit, Reinigung, Übergang, Neuordnung und Alltagsrealität beginnen im Betrachter ihr beziehungsreiches Spiel, an dessen Ende und angesichts der magischen Bildzeichen der Künstlerin die Frage nach der Natürlichkeit der gegenwärtigen Ordnung steht.


Hans Knopper 1994

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