Kultur wirkt.

 

Hans Knopper M.A.

Martin Schwenk
Skulpturen

Ausstellungskatalog  Städtische Galerie im Deutschen Klingenmuseum Solingen:  
Martin Schwenk. Skulpturen.- 
Mit Texten von H. Ern und Hans Knopper.-
Ausstellung vom 29.10. bis 3.12.1995
Aufl.: 500 Ex., 
ISBN: 3-930315-10-6

Text von Hans Knopper:

Nachbetrachtung zu den Skulpturen Martin Schwenks oder 
wie Natur und Kunst aneinandergrenzen

Auf feucht scheinendem, dunklem Boden, verstreut zwischen aufragenden Stämmen wachsen sie. In Gruppen versammelt und vereinzelt haben sie sich wie selbstverständlich ihren Platz geschaffen. Kleine oft im Schutz der Großen. Ihre Farbigkeit zeigt bei aller Individualität der Einzelnen ihre Zusammengehörigkeit. Sie scheinen schon immer dort zu stehen, nur die konservierten Wachstumsspuren auf ihren Hüten und ihre verletzbaren, zarten Ränder künden von schneller Vergänglichkeit: Pilze, von nicht geahnter Größe und Ausstrahlung, haben die hier offenbar idealen Voraussetzungen genutzt. Die Pilze locken die Besucher in Museumsräume, die in einen Wald versetzt worden zu sein scheinen. Wer diesen Naturraum betritt, kann die Selbstverständlichkeit und die Fraglosigkeit eines solchen Ortes genießen. Bänke laden zum Verbleiben ein. 
Die früheren Skulpturen Martin Schwenks waren Positivgüsse von intuitiv geformten, ertasteten und somit erfundenen Hohlräumen. Erst nach dem Guß war die Skulptur zum ersten Mal selbst zu sehen, diese zeugte von einer im Herstellungsprozeß verloren gegangenen Hohlskulptur, der Negativform. Die ausgestellte Skulptur hatte einen Verweischarakter, sie war eindeutig Spur und verfremdetes Abbild von etwas nicht mehr Identifizierbarem, das dem Betrachter dennoch seltsam vertraut zu sein schien. Die museale Präsentationsform, die zum festen Bestandteil der Skulpturen wurde, bildete ein zusätzliches Verfremdungselement: ein Glassturz, ein Wandsockel, ein Trägersystem. Sie betonten den Abstand zwischen dem Betrachter und dem Objekt der Betrachtung. Die Phantasie war gefordert, den Zusammenhang in dem die Skulptur stehen könnte, das Vorbild, dem sie nachgestaltet ist, nachträglich zu erschließen. Die nobilitierende Präsentationsform bestärkte den Betrachter in seiner Rolle als Fragensteller.

Der Besucher der hier dokumentierten Ausstellung wird auf andere Weise in die skulpturale Auseinandersetzung Martin Schwenks verwickelt. Der Betrachter ist zunächst nicht mehr der Fragensteller, sondern er kennt schon die Antwort. Es handelt sich um Pilze, und er befindet sich mitten unter ihnen. Er ist Teil der Skulptur. Es gibt kein Vitrinenglas mehr, das Rollen zuteilt. Der Besucher setzt sich auf die Bank und könnte die gebotenen Freiräume zu weiterer Erkenntnis nutzen. Die Bank ist ein Zwitter. Neben ihrer Funktion als Sitzmöbel entpuppt sie sich als Skulptur. Also werden die Pilze in ihrer anscheinenden Eindeutigkeit doch wieder verdächtig. Sind sie nicht sowieso unwahrscheinlich groß? 

Ist es wahrscheinlich, daß sie sich unsichtbar miteinander  vernetzt so weit erstrecken können? Stehen sie begründet in Gruppen eng zusammen? Woher rühren die Oberflächenstrukturen? Wieso treten die Pilze in der Eroberung der Horizontalen miteinander in Wettbewerb? Woher beziehen sie Ihre Standfestigkeit?
Hinter der selbstverständlichen Erscheinungsweise der Pilze beginnt der Betrachter sich mit den formalen Gesetzmäßigkeiten der Installation zu beschäftigen. Er sitzt nicht mehr im Wald sondern in der Gedankenwelt des Künstlers. Dessen Umdeutungen von Boden, Säulen und Wänden werden nachvollziehbar. Bedenkt man, daß diese Ausstellung in einem Museum stattfindet, das im wesentlichen Vitrinen als Präsentationsform für seine Inhalte benutzt, dann wird verständlich: der gesamte Raum ist als Vitrine, als Präsentationsraum zu betrachten. Der Besucher wird mitausgestellt und thematisiert. Er befindet sich mit der Skulptur auf derselben Realitätsebene, ist ihr nicht durch Glas getrennt unmittelbar nah. Mit Erkenntnisvorteilen, da die Skulpturen ihm so selbstverständlich nah sind, wie er sich selbst nah ist? Der Besucher als Teil der Skulptur hat nun Probleme sich seiner Funktion, die unter anderen Umständen klar war, über Bügel, Glas o.ä. definiert wurde, zu vergewissern. Die Bänke wirken wie letzte Reste der „Realität'; sie sind deutlich als Kunst erkennbar. Sie bilden sozusagen den Ausgang in die Welt, in der Kunst und Betrachter, Kunst und Natur deutlich voneinander geschieden sind. Die Welt ist wieder in Ordnung, zurück bleibt die Erkenntnis: die Art und Weise, in der Natur und Kunst aneinandergrenzen, schließt die unerklärten Geheimnisse unserer Existenz ein.

Hans Knopper 1995            

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